1880 -
Leipzig
: Spamer
- Autor: Hocker, Nikolaus, Köppen, Fedor von, Finger, Friedrich August, Albrecht, Längin, J., Buttgers, J., Mehlis, Christian, Klöden, Gustav Adolf von
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
22 Der Bodensee und seine Ufer.
Im Jahre 14 v. Chr. erscheint dieses wilde Gebirgsvolk aufs Neue
im Kampfe mit den Römern, und zwar in Verbindung mit den nördlich
an sie anschließenden Vindeliciern. v
Beide Völker machten nun gemeinschaftlich Einfälle, theils südlich von
den Rhätischen Alpen nach Oberitalien, theils westlich rheinabwärts in das
römische Gallien, Alles verwüstend und niedermetzelnd. Als der Schrecken
dieser Einfälle sich nach Rom verbreitete, sandte Angustus zuerst im Jahre 14
v. Chr. seinen Adoptivsohn Drnsus. Dieser begegnete den Rhätiern am
Fuße der Tridentinischen Alpen und schlug sie aufs Haupt, uoch ehe ihre
Verbündeten, die Viudelicier, von den Bergen herabgestiegen waren. Die
Feinde wichen in ihre Schluchten zurück, Drusus machte Halt und erhielt
die Ehren eines Imperators. Allein der Krieg war darum noch nicht zu Ende.
Aus Italien zurückgedrängt warfen sich die beiden Völker, ohne Zweifel vom
Bodensee her, aufs Neue nach Gallien. Jetzt sandte Angustus dem Drusus
den Tiberius zu Hülfe. In getheilten Heerhaufen operirten mm die beiden
Feldherren gegen die Feinde. Drnsus kam vou Italien her durchs
Gebirge und warf ein rhätisches Burgkastell um das andere nieder.
Tiberius rückte von der gallischen Seite her gegen den Bodensee, desfen
Ufer damals zum ersten Mal von den Römern betreten wurden. Da der
See, als eiu natürliches Bollwerk der Rhätier, sich der Vereinigung der
beideu Brüder hinderlich erwies, so schuf Tiberius eine Flotte und besetzte
eine Insel des Sees, bei der er den Vindeliciern eine Seeschlacht lieferte.
Nach der Meinung einiger Gelehrten war dies Lindau; wahrscheinlicher aber,
da Tiberius von Westen, von Gallien her kam, Reichenau. Hier trafen
die beiden furchtbaren Gegner zusammen; allein der wilde Mnth der
Viudelicier, die die Holzkenle und das Steinbeil führten, unterlag einer
ihm noch unbekannten Uebermacht, den Eisenwaffen und der eisernen Dis-
ziplin des römischen Heeres. Die leichten Kähne, von den feindlichen
Wurfmaschinen zerschmettert, sanken mit den kühnen Kriegern in die Tiefe.
Bei dieser Gelegenheit wol war es, daß die um die Ufer des Untersees
entdeckten Pfahlbauten und die alte Bodenkultur des Seeufers ihrer Ver-
uichtuug preisgegeben wurden; denn es ist unzweifelhaft, daß die Vin-
delirier, sobald Gefahr drohte, ihre Wohnungen mit Weib und Kind ver-
ließen und der Zerstörung und dem Brande preisgaben.
Eine zweite, nicht minder blutige und mörderische Schlacht fand wahr-
scheinlich am Eingang des Oberrheinthales, etwa bei der militärisch wichtigen
Gegend von Feldkirch, statt. Hier nahmen, wie Florus erzählt, selbst die
Weiber am Kampfe Theil und warfen, als sie keine Geschosse mehr hatten,
den Feinden ihre am Boden zerschmetterten Säuglinge ins Angesicht, nm
sie vor römischer Knechtschaft zu bewahren; selbst der römische Dichter,
der auf Augustus' Geheiß diese Siege besang, kann diesen „Heldenherzen,
die dem Freiheitstode sich weihten", seine Bewunderung nicht versagen.
Nach dieser Schlacht war der Muth dieser wilden Bergvölker gebrochen,
und sie wurden nun hausenweife durch ganz Rhätien und Vindelicien hin
unterworfen und fast vernichtet. Massenweise wurden sie verpflanzt und