1880 -
Leipzig
: Spamer
- Autor: Hocker, Nikolaus, Köppen, Fedor von, Finger, Friedrich August, Albrecht, Längin, J., Buttgers, J., Mehlis, Christian, Klöden, Gustav Adolf von
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
164 Straßburg, die Königin des Oberrheins.
Anders sah es freilich damals schon in Straßburg ans. An der
Spitze der Stadtverwaltung stand als königlicher Kommissar an Stelle
des erkrankten Prätor Gerard (seit 6. Juli 1789) Herr Friedrich von
Dietrich (geb. 1748), ein Mann von lauterster Gesinnung und wohl-
wollendem Charakter. Er hatte seine Studien größtenteils in Paris ge-
macht und war unter den verführerischen Jdeeu gereift, welche vor dem
Ausbruche der Revolution dort mit Vorliebe gepflegt wurden.
Völlig hingegeben an die großen Gedanken des neuen Zeitalters,
wünschte er auch Straßburg der Segnungen der Revolution theilhaftig zu
macheu. Das aber war die tragische Schuld dieses rechtschaffenen, edel-
denkenden Mannes, daß er um der ueueu Aera willen mit der alten
deutschen Vergangenheit seiner Vaterstadt brechen zu müssen glaubte.
Ein solcher Manu war deu damaligen Leitern der französischen Regierung
sehr willkommen. Die altehrwürdige reichsstädtische Verfassung Straßbnrgs
war ihnen laugst ein Dorn im Auge. Schou vor dem Bastillesturm sah
man auf deu Gassen Straßbnrgs unheimliche Gesellen, welche durch wilde
Freiheitsreden und gelegentliche Weinspenden ans die Menge zu wirken,
auch die ärmeren Volksklassen gegen die Patrizier im Rath und in den
Ausschüssen "aufzuregen suchten. Die Nachricht von der Erstürmung der
Bastille, der alten Zwingburg der frauzösischeu Könige, wurde von ihnen
anfs Neue zur Erregung der Massen benutzt. Aufrührerische Volkshaufen
zogen (21. Juli 1789) uach dem Rathhause, drangen in die Säle, plün-
derten die Urkunden und rissen das alte Streitbanner der Stadt in Stücke,
ohne daß die Stadtbehörden oder der französische Truppenkommandant
gegen die Aufrührer einzuschreiten wagten. Kurze Zeit darauf (11. August)
legteu sämmtliche Rathsherren und die dreihundert Schöffen ihre Stellen
nieder. Das war das Eude einer mehr als vierhundertjährigen Verfassung.
Von der frauzösischeu Nationalversammlung in Paris erhielt die ehe-
mals freie Reichsstadt gleich den übrigen Städten Frankreichs ihre Kom-
munalverfaffung zugeschnitten. Neben dem Maire bildeten fortan 17 Muni-
zipalitätsräthe und 36 Notablen, die aus unmittelbaren Volkswahlen her-
vorgingen, die neue Stadtbehörde. Zum ersteu Maire von Straßburg
wurde Friedrich von Dietrich gewählt. Im Hotel de ville — so hieß nämlich
jetzt die städtische Pfalz — empfing der neugewählte Maire (18. März 1799)
aus den Händen des letzten Städtemeisters das Siegel der Stadt, und auf
eiuer festlich geschmückten Tribüne, an der Place d'armes, d. h. dem Parade-
platz, errichtet, leistete die Munizipalität vor der versammelten Menge den
Bürgereid; aber trotz aller Theatereffekte, trotz Glockeuläuteu und Geschütz-
salven stand doch das Schauspiel weit zurück hinter der einfachen Würde
des alten Straßburger Schwörtags.
Damit war der Bruch mit der deutschen Vergangenheit vollzogen, der
Uebergang iu die französische Staatsordnung verwirklicht.
Friedrich von Dietrich fühlte wol die tiefe Abneigung, die in der Seele
des Volkes gegen die neuen frauzösischeu Einrichtungen vorherrschte; er
sah, daß seine eifrigen Bestrebungen, Straßburg und das Elsaß in die neue
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