1881 -
Leipzig
: Spamer
- Autor: Steinbach, Josef, Köppen, Fedor von, Finger, Friedrich August, Klöden, Gustav Adolf von, Mehlis, Christian, Hocker, Nikolaus
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
18 Das goldene Mainz.
Doch weder er noch die anderen Nachkommen des Merovaens dachten daran,
nach Römerart dem Rhein das Joch aufzulegen, und erst der große Karolinger
nahm diesen Plan kräftig in die Hand. Auf dem Maitiug zu Ingelheim ward
791 beschlossen, bei Mainz eine feste hölzerne Brücke zu bauen; 803 ward das
Riesenwerk für die damalige Zeit in Angriff genommen. Der Reichschronist
Einhard beschreibt die umfassenden Vorbereitungen dazu. Mau benützte die
stehen gebliebenen Pfeiler der alten Römerbrücke, zwischen denen man neue aus-
führte. Große Baukästen mit eichenen Eckpfosten wurden in den Strom versenkt
und ausgemauert. 813, nach zehnjähriger, mühevoller Arbeit stand der Riesen-
bau vollendet. Allein schon drei Jahre später vernichtete ihn eine Feuersbrunst;
ein Chronist beschuldigt Mainzer Schiffer der Brandstiftung. Unermeßlich war
der Schaden, der dadurch dem vom Ostland abgeschnittenen Mainz erwuchs; der
Handelsverkehr des Mainlandes zog sich nach dem nahen Frankfurt. Und heute
noch ist der Verlust fühlbar. Es verbindet zwar Schiffbrücke und Dampfer die
beiden Rheinufer; allein in Wintern, wie im letzten von 1879, wo der Rhein
halb erstarrt und der Eisgang von statten ging, ist dem Verkehr die Ader unter-
bunden. Güter und Menschen mußten im Januar 1880 nach dem Abfahren
der Pontonbrücke von Mainz nach Wiesbaden den Umweg über Frankfurt uehmeu.
Manchmal sogar baut der gewaltige Strom selbst sich die eisgefügte Brücke von
Ufer zu Ufer.
So geschah es zuletzt in den Jahren 1829 und 1879. Dann entwickelt
sich aus dem Strome, den meterdickes Eis deckt, ein wunderbares Leben. Mehrere
Bahnen für Fußgänger und Wagen führen über das hier und da hochgethürmte
Eis; bequeme Personen werden auf Handschlitten von den feiernden Schiffern ge-
fahren. Die schwersten Lasten von Eisen, Fässern, Holz wagen den Uebergang.
An der Petersaue oder drüben bei Kastel kommt die schlittschuhlaufende Jugend
zu frohem Sport zusammen. Du kannst die Grazie der jeunesse cloree be-
wundern, die Anmuth, mit der die jugendlichen Mainzerinnen über die glänzende
Flüche sich gleiten lassen. Auf langen Schleifen amüfiren sich die, deren Ver-
Hältnisse es nicht erlauben den Eisschnh anzuschnallen. Alles ist voll Leben
und Lust! Und Abends schimmert die Fläche von der Lichterpracht bunter
Ballons; Raketen und farbige Leuchtkugeln steigen zum sternenglänzenden Himmel
empor, und die Klänge der Regimentsmusik bilden die Begleitung zur munteren
Unterhaltung. Letztes Jahr ward sogar an den Weihnachtsfeiertagen ein Christ-
bäum mitten auf dem Eise geputzt, und seine Lichter flammten hell durch die
Nacht; ein Eishaus ward gebaut, ein Küfer verfertigte ein Stückfaß; ein Schmied
beschlug Pserde; ambulante Buden^ boten Bier, Wein, Cigarren feil; Dutzende
von Mainzer Gamins boten den Fremdlingen das landläufige Gebäck der
„Bubenschenkel" an; ganz Mainz und die Umgebung wallfahrtete auf das Eis,
und der Strom schien monatelang uuter fester Decke grollen zu müssen. Allein
die Jahreswende brachte plötzlich mildes Thanwetter; einige Tage widerstand
die gewaltige Decke mainanf und rheinab bis zur Lurley den Lockungen des
Zephyrs. Allein allgemach drängte das Maineis heraus, von Oppenheim kamen
die Schollen herab. Oberhalb Mainz, zwischen dem Hochufer von Höchst und
der Niederung von Bischofsheim und Rüffelheim, ward das Wasser zurückgeftaut.
Eiues Januarmorgens brach die anschwellende Flut das krachende Eis; der
Main stieg plötzlich um mehr als 6 m, und die Schollen trieben berstend