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1. Bilder aus den Landschaften des Mittelrheins - S. 72

1881 - Leipzig : Spamer
7 2 Der Rheingau. die Neuzeit durch alle Stürme der Geschichte erhalten. Der Rest der alten germanischen Bauernschaften! — Dem Gaugenossen im Rheingau fielen die Ansprüche ans Nutzungen zu, auch wenn er nur so viel Grundeigenthum besaß, „daß man einen dreibeinigen Stuhl darauf stelleu konnte"; ein anderer, der kein Markgenosse war, mochte er noch so viele Liegenschaften besitzen, durfte keinen Schubkarren Streu im Walde sich holen. „Das Volksleben hat sich im Mittel- alter in: Rheingau auf das Individuellste entfaltet und — ausgebildet." Die Fran- zösische Revolution, die Vertreibung der Reichsfürsten und der Territorialherren, die Einführung der neuen Gesetzgebung hat auch mit den sozialen Zuständen hier am radikalsten aufgeräumt. Die Extreme berühren sich, und nach der kastenartigen, Jahrhunderte andauernden Abgeschlossenheit des Rheingaues ward dies Land gerade in unserem Jahrhundert das reine Asyl für gleichmacherifche Gesellen und fahrendes Gesindel. Unter der Regierung der Nassauer erholte sich das gesegnete Ländchen von dem Drucke der Feudalzeit und der Zerfahrenheit der Französischen Revolution. Der Bauer, der vorher zur Kurzeit nicht Bürger und nicht Land- mann, nicht Fisch und nicht Fleisch war, wurde angewiesen aus die Quelle feines Wohlstandes — den Weinbau. Der Rheingau wurde zur Wein schule für ganz Deutschland; nirgends ward die Parzellirnng des Grund und Bodens so durchgebildet, wie auf diefer Scholle; nirgends aber auch — bis zum Extrem — der intensive Betrieb der Landwirtschaft so gesteigert, wie hier, wo man beim Kauf den Boden mit Goldstücken belegen muß. Selbst das Jahr 1848 merkte man nur daran in diesem Bacchuslande, daß die Weinfässer schneller leerer wurden als in einem andern Jahrgange. Den sauren 1848er haben z. B. die Raueuthaler Bürger mit muthigem Munde in der sogenannten „Krawallstube" vertilgt. Das Jahr 1866, welches den Rheingau dem deutschen Großstaate einfügte, hat nur wenig an der Sinnesart des Völkchens verändert, bei dem die Liebe zum „angestammten" Herrscherhause nur aus einem Federstriche der Diplo- matenwelt beruhte. Als Glied der Provinz Hessen-Nassan bildet der Rheingan einen eigenen Kreis mit der am westlichen Eck gelegenen Kreisstadt Rüdesheim. Jenseit der Rheinbiegung reicht der Kreis an das Wisperthal nach Lorch und hinab nach St. Goarshausen, Caub, Braubach, bis er an der Lahnmündung bei Ober- lahnstein seine Grenze erreicht. Der Kreis Rheingau umsaßt sonach die West- seite des Herzogthums Nassau und hat seine alte Grenze am Niederwald künstlich überschritten. — Und so erglänzen jetzt hier, wo die Rebe süßer blüht und der Pfirsich röther glüht, unter dem schwarzweißen Banner die hochragenden Villen, die neugothischeu Paläste, die sauberen Städtchen und Ortschaften, wo der Krummstab und der Mainzer Rath, die Klerisei und das Jesuitenthum so lange Zeit geherrscht und gehaust hatten. Das stromfeuchte Gelände aber bewohnen nicht mehr zinspflichtige Hörige und abgefchloffene Bauernschaften, fondern frische, fröhliche, weinselige Bürger des Deutschen Reiches. Wohl ihnen und ihrer blondhaarigen Nachkommenschaft! Land und Leute. Des Landes eigenartige Bevölkerung, die Rhein- gauer, die Kinder des Weines und des Stromes, hat wol am besten der rhei- nische Kulturhistoriker W. H. Riehl, ein geborener Biebricher, gekennzeichnet. Lassen wir ihn in seiner Schrift „Land und Leute" selbst seine Landsleute schildern. „Die Rheingauer sind ein Volksfchlag, der zuerst in der Schule des Wohl- lebens, später aber in der allzu strengen Zucht des Unglücks verdorben worden
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