1881 -
Leipzig
: Spamer
- Autor: Steinbach, Josef, Köppen, Fedor von, Finger, Friedrich August, Klöden, Gustav Adolf von, Mehlis, Christian, Hocker, Nikolaus
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Rheinfahrt von Mainz bis Koblenz.
die Pegelhöhe 21 Fuß betrug. Noch jetzt beträgt der Fall des Stromes von
Rüdesheim bis Aßmauushauseu uicht weniger als 26 Fuß. und im Frühjahr
1880 mußte der Steuermann mit Geschick die enge Wasserstraße einhalten, um
uicht das Fahrzeug auf deu Felsen auflaufen zu laffeu.
So haben Natur und Kunst über eiu Jahrtausend gearbeitet, um den
Oberrhein mit dem Niederrhein zu verbinden, um dem Handel zwischen Straß-
bürg, Frankfurt, Mainz mit Koblenz, Köln, Rotterdam eine freie Gasse zu brechen,
um das certum jam alveo Rhenum des Tacitns zu erweitern für das ganze
Gebiet des mächtigen Stromes. Die Binger selbst, chattisch-fränkischen Stammes,
gehärtet im Kampfe gegen die Natur und in der Geschichte gegen die Tyrannei
des Krummstabes, sind ein muuteres Völkchen, das gern den „Bleistift" zieht
und auch gern Schnacken dem Fremden aus die Haut setzt. Vou ihrer Vater-
stadt und der Schönheit ihrer Gegend denken sie gar nicht gering, und ,/s Lob
vun Binge", das der Witz Kobell's erfunden hat, giebt diesem Nationalstolz
den besten Ausdruck:
„Die herrlichst' Gegend am ganze Nhei'
Desf ist die Gegend vun Binge,
Es wächst der allerbeschte Wei';
Der Scharlach wächst bei Binge.
Die g'fchickt'fchte Schifflent, die mer find't,
Desf sin die Schiffer vun Binge,
Un sieht mer in Meenz e' hübsches .^iind,
Wo is es her? — Vun Binge!
Kü Loch is uf der ganze Welt
So berühmt wie des vun Binge,
Kä Thorm so keck ins Wasser g'stellt,
Wie der i?n Rhei' bei Binge." —
Allem wir müssen endlich doch einmal von Bingens Herrlichkeiten Abschied
nehmen; da draußen lockt und reizt das Frühlingsleben am Rhein, der wackere
Dampfer „Gutenberg" ladet zur fröhlichen Rheinfahrt ein, und fo laßt uns
das breite Deck besteigeu und einathmen die freie Luft, die auf dem glitzernden
Strome weht. —
„An den Rhein, an den Rhein,
Zieh' nicht an den Rhein!"
Wen, der offenes Herz und offenen Sinn für des Heimatlandes Perlen-
schätze besitzt, trieb nicht diese Abmahnung von der Lorelei) Locken hin zu den
Festen und Zinnen, Städten und Kirchen am Vater Rhein?
Lockten die üppigen Gefilde Italiens von jeher die Heeresscharen nordischer
Völker an, so zieht mit gleicher Attraktion der Strom Europa's, der Geschichte
und Sage, Knnst und Poesie im reichsten Maße beschäftigt, die Wanderer der
Gegenwart mit sehnsuchtverratheudeu Blicken an zu seinen himmelstürmenden
Felsen und seinen mauerumwallten Ortschaften. Und sind es nicht immer ideale
Interessen, die den Reisenden an den grünen Useru hinstreifen lassen? Auch der
Strom Derer, die in Baumwolle, Lernen, Tabak u. s. w. oder iu dem Kern-
Produkte der Reben arbeiten, läßt nur die Sceuerie bunter erscheinen, drückt der
Besucherwelt deu Stempel des Universalismus auf.