1882 -
Leipzig
: Spamer
- Autor: Keussen, Hermann, Kaiser, W., Keller, J., Heinzerling, Jakob, Preiser, F., Köppen, Fedor von, Nover, Jakob, Klöden, Gustav Adolf von
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
256 Das Mündungsland des Rheins.
Bilde des schwermüthigen Seefahrers; aber trostlos und an menschlicher Treue
verzweifelnd besteigt der Unselige sein unheimliches Schiff — wir hören
mit Richard Wagner das Rollen der See und das Grollen des unerbittlichen
Firmamentes — da springt, wie von magischer Gewalt angezogen, die hoch-
herzige Jungfrau in die hoch aufschäumende See und — das Gespensterschiff ist
verschwunden. Bekanntlich hat die Sage mancherlei Gestaltungen erfahren —
man findet dieselbe und ihre Variationen sehr schön zusammengestellt in „Franz
Otto's Märcheuschatz" S. 525 ff. (bei Otto Spamer, Leipzig).
Immer hat am Strande des öden, einsamen Meeres uns ein nnend-
liches Gefühl der Wehmuth und des Heimwehs befchlichen. Auch diesmal, wenn
wir zurückdenken an die weite Fahrt, die wir von der Quelle des Vater Rhein
bis zu seinem Grabe zurückgelegt haben, können wir uns ernsten Betrachtungen
nicht verschließen. Wir können in Erinnerung an das begeisterte Rheinlied
Becker's: „Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein!" bei allem
Hochgefühl, das unfere Brust schwellt, im Hinblick auf die letzten glorreichen
Thaten unseres deutschen Volkes zum Schutze und zur „Wacht am Rhein" eine
Beimischung des wehmüthigen Gefühles nicht verwinden, daß dieser herrliche
Strom weder an der Quelle noch an der Mündung zu uuserm Deutscheu Reiche
gehört. Zwar gehörten sowol die Schweiz als auch Holland zum deutschen
Reichsverbande und sind uns beide Länder in Sitte und Sprache verwandt;
doch wir wissen ja, wie wenig sich beide Völker dessen bewußt sind. Und das
ist es, was uns wehmüthig stimmt. Fern sei es von uns, der gewaltsamen
Vereinigung Alldeutschlands das Wort reden zu wollen — aber das sich An-
gezogenfühlen vom großen deutschen Mutterlands hätte wenigstens seine Be-
rechtiguug. Darum schließt der bekannte Geograph Daniel, dem man es von
mancher Seite so sehr verübelt hat, daß er die Schweiz und Holland in seinem
Buche als „deutsche Außenländer" aufführt, seine Schilderung holländischer
Sitten uicht mit Unrecht folgendermaßen: „Vor Allem aber thnt es uns weh,
daß die Holländer fast wie die Dänen so leicht und gern vergessen, daß sie nach
Abstammung, Sprache, nach allen Wurzeln ihrer Kraft Deutsche sind, daß sie
den Deutschen zunächst ihre Freiheit danken." .... „Jene deutschen Heerscharen"
— sagt Riehl — „deren Blut den alten Oraniern die Freiheit der Niederlande
erobern hals, bestanden wol großenteils aus Westerwäldern. Ja, die alten
kraftvollen orauischen Fürsten selber mögen zu den Westerwäldern gezählt werden;
ihre Burg stand auf den Vorbergen unseres Gebirges; und die heimatliche Linde,
worunter Wilhelm der Verschwiegene mit dem holländischen Gesandten Raths
gepflogen haben soll, ist ein Westerwälder Baum..... Es giebt heute noch
altoranisch gesinnte Westerwälder genug, denen das Herz aufgeht, wenn sie die
Volkslieder von den Heldenthaten in Holland hören..... Holland hat ein
kürzeres Gedächtniß gehabt als das deutsche Volk. Die Linde des Oraniers
auf den Vorbergen des Westerwaldes hat länger Stand gehalten als die Er-
kenntlichkeit Niederlands gegen Deutschland." —
Möchte einst kommen der Tag, wo sich alle vom deutschen Stamme los-
gerissenen Zweige wieder ihrer Zusammengehörigkeit aus vollem Herzen bewußt
werden! — Das walte Gott! —