1883 -
Leipzig
: Spamer
- Autor: Kretschmer, Albert, Klöden, Gustav Adolf von, Steudener, Arnold, Köppen, Fedor von, Molendo, Ludwig, Nover, Jakob, Richter, Julius Wilhelm Otto
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
166 Das Fichtelgebirge und seine Ausläufer.
Daß der Zwerg den Holzfäller und die Seinen bei Nachtzeit sicher aus
dem Walde bringt, sicher auch vorm Wütenheere, das ist ein Zug, der bei
Goethe, wohl sicher als ein Andenken aus der Sage des hereynischen Waldes,
wiederkehrt: den grauen Waldzwerg wandelt unser Dichterkönig, in der lieb-
lichsten aller Balladen, zu niemand anders um als zum Kinderfreund — zum
alten getreuen Eckart.
Daß aber den Menschen, der dem wilden Jäger unterkommt, der Un-
hold doch mitunter zu Tode hetzt, das beweist dem Leser jener schon früher
bei der Sibyllensage erwähnte Student Papst, den dasselbe Leiden tötet, wie
den Knaben im Erlkönig. Ist der wilde Jäger kein andrer als Wodan mit
seinem Gefolge, so ist Goethes und der Skandinaven Erlkönig auch von gleicher
Abkunft. Vettern oder Schatten dieser interessanten Gespenster sind auch jene
zauberhaften Ritter, welche zu den Schmieden des Fichtelgebirges kommen,
und in Bischofsgrün die Buckel der Rüstung aushämmern, oder die Pserde im
Ochsenkopfe drin beschlagen lassen. Der Schmied, der's wagt, bleibt im Berge
oder kommt als alter Mann erst wieder heraus. „In der Christnacht, während
der Metten, hört man am Schneeberge noch den Schall des Hammers."
An Wodan oder eigentlich an seinen in der Sage gänzlich mit ihm ver-
schmolzenen Sohn, Donar, den Donnergott und seinen Hammer, erinnert auch
im Fichtelgebirge der gewaltige Respekt vor seinem Wirken, vorm Gewitter.
In Gesrees fielen, um den Herrn der Donnerkeile zu versöhnen, die Leute auf
die Kniee. In Selb und Weißenstadt waren „Feuerkugeln" noch in diesem
Jahrhundert in die Gebäude gemauert, um diese vor Donars Keilen zu schützen;
das sollen den Leuten freilich die — Zigeuner gelehrt haben: wohl nur Lesart für
die alten Heiden. Truden (Druiden) und Hexen (Hagedisen) necken hier noch
bis zum heutigen Tage hin und wieder ihre Gläubigen im katholischen wie im
protestantischen Teile des Volkes: in sie wandelte das Christentum die alten
Seherinnen (Veleda!) und Priesterinnen des alten germanischen Wald- und
Götterkultus um. In Stadtsteinach buttern die alten Hexen; sind sie dabei
nackt, so gibt es mehr Butter. Sonst machen sie lieber die Gewitter, und
nicht nur bei uns, sie verstehen diese Kunst von Schottland und Schweden bis
zum Gotthard und Brenner.
Die Göttinnen des altdeutschen Heidenglaubens leben ja gleichfalls hier
noch fort. Die Hulda oder Holle, die Bertha oder Bercht, die Runen und
die Hel klingen aus Sagen und Namen wieder.
Wenn z. B. ein alter Spruch sagt:
„Sprach Jungfrau Hille,
Blut stand stille",
so erkennen Wenz und andre Altertumsforscher hierin die Walküre Hilda, die
Blut vergießen und wieder stillen kann. Zu den heulenden Kindern sagt man
im Fichtelgebirge und im Mistelgau: „Sei still, sonst kommt die Berthe!"
Wo Juugsraueu Schätze hüten, und eine ist davon schwarz, oder doch halb-
schwarz, so klingt das an die Todesgöttin, die Hel, auffallend an. Während
die öfters wiederkehrende Dreizahl der sagenhaften Jungfrauen an die Nomen
erinnert, mag der Brunnenkultus an den Mythus jener Hela mahnen, „die
unter der Esche Mdrasil wohnt, an deren Wurzeln die heiligen Brunnen rauschen."
Noch heute ziert man im Fichtelgebirge bis ins Hummelland heraus am Osterfeste