1885 -
Leipzig
: Spamer
- Autor: Köppen, Fedor von, Lehmann, F. W. Otto, Klöden, Gustav Adolf von
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
128 Bremen und die Wcsermündung.
einem hier eine wohlthnende Verteilung des Grundbesitzes entgegen. Die
Stedinger sind die solidesten, fleißigsten, gefälligsten und wohlgesittetsten Leute.
Aus keiner Marsch gehen so viele Matrosen hervor als aus Medingen. Wer
nicht Landmann oder Handwerker ist, fährt zur See. Aber nicht allein dies.
Stedingen hat auch seine eigne Reederei, die von Jahr zu Jahr im Zunehmen
begriffen ist. Schon seit einem halben Jahrhundert bildeten sich hier Gesell-
schasten, meistens aus Bauern bestehend, um Gröulandssahrer auszurüsten;
und da die ersten Spekulationen mit Erfolg gekrönt waren, wurde die Lust
zum Reedern bald und namentlich in den letzten Jahrzehnten so allgemein,
daß jetzt kaum mehr ein wohlhabender Bauer im Lande ist, der sich nicht an
einem oder dem andern Schiffe durch Aktien beteiligt hätte.
Das Stedingerland ist vielleicht eine der ersten Wesermarschen gewesen,
die eingedeicht wurden. Man glaubt, daß schon im 10. Jahrhundert die Erz-
bischöfe von Bremen durch herbeigerufene Friesen (Holländer) Deiche anlegen
ließen. Auch finden sich Nachrichten, daß die Grafen von Oldenburg friesische
Kolonisten in das noch fast unbewohnte Land gerufen und vereint mit den
bremischen Erzbischöseu die Verhältnisse der neuen Anbauer geregelt und fest-
gestellt haben. Die oldenburgischen Grafen erbauten bald darauf zur Wahrung
dieser Rechte zwei feste Schlösser und Burgen im Lande, die Leuchtenburg und
die Burg Liene, und auch die Erzbischöse legten einen festen Sitz, die Burg
Schlüter, an.
Da die Abgaben der Stedinger äußerst genug waren und sie mit mancherlei
Rechten, Freiheiten und Privilegien ausgestattet waren, so kamen bald viele
neue Anbauer, meistens Friesen und Holländer, herbei, und so gelangte die junge
Kolonie bald zur Blüte; kaum hundert Jahre später war sie bereits stark be-
völkert. Der Friede zwischen den Stedingern und ihren Schutzherren währte
indes nicht lange, indem die letzteren ein Privilegium nach dem andern an-
zutasteu und zu beseitigen suchten. Die festen Sitze derselben waren in drohende
Zwingburgen verwandelt; rohe Burgvögte ließen sich die gröbsten Ausschwei-
sungen und Verbrechen zu schulden kommen und mischten sich auf die an-
maßendste Weise in innere Angelegenheiten und Streitigkeiten, die nur den vom
Volke gewählten Richtern zukamen. Alle Klagen und Beschwerden blieben un-
berücksichtigt, denn Grasen wie Erzbischöse wetteiferten um die unumschränkteste
Herrschaft.
So konnte es denn nicht fehlen, daß bald Unwille und Haß das ganze
Volk erfüllte. Die Gährung wuchs von Jahr zu Jahr und bald stand ganz
Stedingen in Ausruhr; wütende Scharen belagerten die beiden Hauptburgen
Lienen und Leuchtenburg, nahmen sie mit stürmender Hand, erschlugen die
Junker samt der ganzen Besatzung und machten die verhaßten Zwingburgen
dem Erdboden gleich. Nunmehr wurde ganz Stedingen für eine freie, unab-
hängige Republik erklärt, die weder geistlichen noch weltlichen Herren tribut-
pflichtig sein sollte. Dies geschah im Jahre 1159.
Nur unter fortwährenden Fehden mit dem ergrimmten Grafen und Erz-
bischofe konnten die Stedinger ihre Freiheit genießen. Bald bekämpfte sie der
eine, bald der andre. Auch mit ihren Verbündeten kamen sie bald in Streitig-
feiten; so dauerten die Kämpfe und Unruhen fast ein ganzes Jahrhundert.
Eine größere Gefahr drohte aber den Stedingern, als im Jahre 1219