1885 -
Leipzig
: Spamer
- Autor: Köppen, Fedor von, Lehmann, F. W. Otto, Klöden, Gustav Adolf von
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
316 Die Ebene der Oker.
Radau und Ecker sowie später die Ilse und serner bei Halchter die vom Elm
kommende Altenau auf. Über Wolfenbüttel fließt der Strom in einem 11 — 14 m
breiten Bette der Stadt Braunschweig zu und vereinigt sich, nachdem hinter
der Hauptstadt die gleichfalls am Elm entspringende Schnnter zu ihm getreten
ist, nach einem 80 km langen Laufe mit der Aller.
In den älteren Zeiten teilte sich die Oker vor ihrem Eintritt in Braun-
schweig am Bruchthore in zwei Arme, welche sich hinter dem Damme wieder
vereinigten. Von hier ging der Strom vor dem Langenhose über den Ruh-
fäutchenplatz, durchschnitt die Stecherstraße und Hagenbrücke, umfloß sodann
den Werder und verließ die Stadt in der Nähe des Wendenthores. Die zahl-
reichen Nebenarme, welche später die Stadt durchflössen, sind erst nach und
nach bei der Zunahme der Bevölkerung angelegt. Gegenwärtig sind dieselben,
wie auch die alte Hauptrichtung kanalisiert, teilweise selbst überbaut und wird
der Hauptstrom, welcher sich jetzt vor der Stadt in zwei Arme teilt, in den
aus den Zeiten der Befestigung der Stadt herrührenden sogenannten Umflut-
gräben rings um die alte Stadt geführt. Beide Arme vereinigen sich wiederum
hinter der letzteren.
Gewiß ist dies eine günstige Lage für eine Stadt. Außerdem aber scheidet
sich hier auch das Heide- und Moorgebiet des Nordens von den fetten, frncht-
baren Thälern und waldreichen Bergen der südlichen Landschaften; und mit
dieser Naturgrenze ging eine Völkergrenze parallel, da schon wenige Stunden
nördlich von Braunschweig das Gebiet der Wenden anfing, die hier freilich viel
früher zurückgedrängt und germanisiert worden sind als im Lüneburgischen.
Dazu kam, daß die Oker früher bis hierher mit Kähnen befahren werden konnte
und von Braunschweig ab eine förmliche Schiffahrt über Celle nach Bremen
eingerichtet war. sowie daß die Jnselbildnng des Flusses hier einen bequemen
Übergang ermöglichte, der an dieser Stelle um so mehr aufgesucht wurde, als
die höheren Userstellen der nächsten Umgegend, die Klinte, wohl geeignet waren,
feste Ansiedelungen zu tragen. Fassen wir schließlich noch den Umstand ins
Auge, daß sich hier auch wichtige Landstraßen kreuzten, so wird es uns nicht
wunder nehmen, daß dieser Fleck schon frühe zu einer Ansiedelung erkoren
wurde, aus der sich verhältnismäßig schnell eine mächtige Stadt entwickelt hat,
eine Stadt, die bereits in früheren Jahrhunderten eine Rolle in der Geschichte
zu spielen geeigr."t war, und die uns auch noch heute als blühende Handels-
und Industriestadt entgegentritt. Denn der heutige Charakter des seit der im
Jahre 1809 beendigten Abtragung der Festungswerke offenen Ortes präsentiert
sich dem Fremden durch seine öffentlichen Bauten zwar als Haupt- und Nesi-
denzstadt, in der Beschäftigung und dem Treiben der Einwohner jedoch als
Handels- und Fabrikstadt.
Die Wohnhäuser der Stadt sind meistens von mäßiger Größe, und ebenso
sind die Straßen im allgemeinen nur von mittlerer Länge. Der innerhalb der
ehemaligen Wälle belegene Hauptteil der Stadt ist, wie bereits aus seinem
hohen Alter gesolgert werden kann, von unregelmäßiger Bauart, zeichnet sich
jedoch vor den meisten älteren Städten Deutschlands durch eine erhebliche
Anzahl freier Plätze aus. Diese innere Stadt ist reich an jenen stattlichen
Bauten, an denen sich der Glanz und Reichtum des mittelalterlichen Bürger-
tums zu entfalten liebte.