1884 -
Leipzig
: Spamer
- Autor: Burmann, Karl, Klöden, Gustav Adolf von, Köppen, Fedor von
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
294 Die schlesische Hauptstadt und ihre Umgebungen.
mit altertümlichen Giebeln geschmückt sind, umgeben den Ring, und von den
vier Ecken gehen acht gerade Hauptstraßen aus, welche als Verlängerungen der
Marktseiten zu betrachten sind.
Jetzt ist der Platz nur noch mit 98 „ grundsesten" Buden jahrmarkt-
ähnlich besetzt, nachdem schon mehr als 170 angekauft und abgebrochen worden
sind, weil der von ihnen früher eingenommene Raum dem heutigen Personen-
verkehr zu sehr fehlte.
Von allen Häusern, welche die Mitte des Marktes einnehmen, begrüßen
wir zuerst das alte, ehrwürdige Rathaus, das in der zweiten Hälfte des 14.
Jahrhunderts in gotischem Stil erbaut ist. Die Außenseite ist mit kunstvollen
Steinmetzarbeiten an den Erkern, Gesimsen und Giebeln, mit Figuren und
Schnörkeln, die zum Teil schon abgebrochen sind, reich ausgestattet. Viele kleine
Türme zieren das Rathaus; der Hauptturm, der achteckig ist und einen Kranz
mit zwei Durchsichten hat, in welchem die Glocken der Stadtuhr hängen, ist
1558 zum Teil umgebaut, zum Teil erhöht worden. Man setzte auf die
Mauern das Holzwerk, beschlug es mit Kupfer, das grün angestrichen wurde,
und fügte das goldene Gepränge hinzu. Zur Verzierung wurden noch zehn
Knöpfe angebracht. Als die Spitze stand, stellte man auf die acht Ecken des
Kranzes vier Löwen und vier Engel, von denen die letzten wieder abgenommen
wurden. Am Turme sieht man das aus Stein gehauene und ausgemalte
Stadtwappen.
Wann die Stadtuhr auf dem Turme eingerichtet ist, läßt sich nicht be-
stimmen, aber es ist nicht unwahrscheinlich, daß sie aus dem 14. Jahrhundert
stammt. Sie hatte, wie man sich ausdrückte, den ganzen Zeiger, d. h. auf
dem Zifferblatt standen die Zahlen von 1—24 und der Zeiger ging in 24
Stunden einmal herum.
Im Jahre 1580 wurden neue Zeigertafeln, deren eine 131/2 Zentner
wiegt und 4% m im Durchmesser hat, aufgezogen, die zur halben Uhr ein-
gerichtet waren, d. h. die Scheibe enthielt nur die Zahlen von 1 —12 und
der Zeiger ging in zwölf Stunden einmal herum. Am 24. Juli 1580 wurde
zu Maria Magdalena von der Kanzel verkündigt, daß die halbe Uhr ein-
geführt sei, und daß die Stadtuhr an diesem Tage um Mittag 12 Uhr schlagen
werde; man solle sich künftighin danach richten, daß der Tag seinen Anfang
um Mitternacht nehme.
Von dem Glockenspiel, welches sich am 9. Oktober 1550 zuerst hören
ließ und alle halbe Stunden das Lied „Verleih uns Frieden gnädiglich", zur
ganzen Stunde „Veni creator spiritus" spielte, ist nichts mehr vorhanden;
es ist vielleicht schon 1558 bei der Reparatur und Erhöhung des Turmes
wieder abgenommen worden.
Am Haupteingange stehen zwei alte, aus Stein gehauene Figuren; die
zur linken Hand stellt einen Mann mit einem Hammer dar, der um den Leib
eine Tasche trägt; über ihm stehen die Worte:
„Ich bin der Voitknecht,
Wer nicht Recht thut, ford're ich vor Recht."
Ein Vogtknecht nämlich hatte das Amt, die Parteien vor den Stadtvogt
zu laden. Fand er sie nicht zu Hause, so schlug er als Zeichen der Vorladung