1884 -
Leipzig
: Spamer
- Autor: Burmann, Karl, Klöden, Gustav Adolf von, Köppen, Fedor von
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
374 Land und Leute im Großherzogtum Posen.
Es ist merkwürdig, daß die ältesten polnischen Städte, die einst in großer
Blüte gestanden haben, im Laufe der Zeit sehr heruntergekommen sind. Das
alte Kruschwitz, welches im Jahre 1816 nur 135 Einwohner hatte, war kaum
noch eine Stadt zu nennen. Dennoch läßt sich diese Thatsache geschichtlich er-
klären. Die ältesten Städte wurden natürlich in Gegenden angelegt, die von
Natur schon einen bedeutenden Schutz gegen nahende Feinde gewährten, in
Sumpfland, an abgelegenen, schwer erreichbaren Orten. Als aber später die
Kriegführung eine andre wurde, als die Stadtbewohner auch Handel und Acker-
bau treiben wollten, wurden neue Städte an gesünder gelegenen Orten gegründet,
die schnell aufblühten, die alten aber erhielten nicht nur keinen Zuzug, sondern
mancher Bürger suchte sich auch eine bessere, neue Heimat. Die Behauptung,
welche von polnischer Seite zuweilen aufgestellt wird, daß durch die Einwirkung,
Einwanderung und Thätigkeit der Deutschen die polnischen Städte zurückgegangen
seien, ist geradezu aus der Luft gegriffen.
Als die Polen in die Geschichte eintraten, herrschte bei ihnen schon eine
starke Unterdrückung des Volkes. In Polen gab es keine feste, öffentliche Ord-
nung; wer Freiheit genießen wollte, mußte Gewalt haben; die Fürsten und
Großen schalteten nach Willkür und drückten die Masse zu Boden; das wachsende
Herrschertum überbürdete die Landleute noch mehr.
Nicht herausgerissen wurde das Volk aus seiner üblen Lage, aber eine
günstige Veränderung wurde doch herbeigeführt, und eine zum Bessern treibende
Kraft kam in das Polenreich durch die Einwanderung der Deutschen.
Vorläufer waren die Geistlichen. Die christlich gewordenen polnischen
Herrscher schenkten, um ihre Frömmigkeit zu beweisen, zu verschiedenen Zeiten
mehr oder minder große Wüsteneien an geistliche Stiftungen. Diese Geschenke
hatten indes, solange sie wüst blieben, für die Empfänger nur einen sehr ge-
ringen Wert; diese mußten daher daran denken, die Ländereien urbar zu machen.
Hierzu waren aber die Polen als Leibeigne überhaupt nicht zu haben. Man
mußte sich daher nach andern Ländern umsehen, und deshalb fiel der Blick vor
allen Dingen auf das dicht bevölkerte Deutschland, aus welchem zahlreiche,
fleißige, zuverlässige und bemittelte Ansiedler leicht zu beschaffen waren, nur
mußte man ihnen Bedingungen stellen, durch welche sie sich bewogen fühlten,
Deutschland zu verlassen und nach Polen auszuwandern.
Die geistlichen Orden also waren es zuerst, welche deutsche Ansiedler nach
Polen zogen. Die Mönche waren ja anfangs selbst meist Deutsche und kannten
deutschen Fleiß. Im Kloster Lubin (Kreis Kosten) wurde zum erstenmal im
Jahre 1190 ein Pole zum Abt gewählt. In die von Gnesen 1234 gestiftete
Cistercienserabtei Obra wurden sogar nur Deutsche aufgenommen. Nach und
uach wurden Kirchen und Klöster in allen wichtigeren Orten gegründet; Eister-
cienfer hatten Klöster in Paradis, Priment, Blefen, Lekno, Dominikaner in
Posen, Wronke, Benediktiner in Lubin, Johanniter in Bromberg. Die Kirchen
und Klöster wurden Ausgangsstätten höherer Bildung.
Zu ihrem eignen Vorteil sorgten die Mönche unausgesetzt für einträgliche
Ackerwirtschaft, brachten Obst- und andre Nutzbäume nach Polen, und so ge-
wann das Land. Geistliche suchten die Bauern von den drückenden Lasten zu
befreien, sie der weltlichen Gerichtsbarkeit zu entziehen und unter das Gericht
des Klosters und der Kirche zu bringen.