1884 -
Leipzig
: Spamer
- Autor: Burmann, Karl, Klöden, Gustav Adolf von, Köppen, Fedor von
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
398 Land und Leute im Großherzogtuin Posen.
und er antwortet, er sei nicht so weit der deutschen Sprache mächtig, um eine
deutsche Quittung auszustellen. Vor 20 Jahren — heute ist es nicht viel
anders — sangen Kinder in den Schulen Lieder, die zum offenen Aufruhr an-
regten; das bekannteste unter denselben ist das Boze cos Polskg, dessen erste
Strophe lautet: „Gott, der du Polen durch so viele Jahrhunderte — Mit dem
Glanz der Macht und des Ruhmes umgeben hast — Der du es mit dem Schilde
deiner Obhut bedeckt hast — Gegen das Unglück, das es betreffen sollte —
Vor deinen Altar bringen wir unser Flehen — Wolle uns wiedergeben, o Herr,
das Vaterland, die Freiheit!" „Boze cos Polskg przez tak liczne wieki —
Otaczal blasmem potggi i clrwaly, — Cos jq, zasianial tarczq, swej opieki, —
od nieszczgsc, ktöre przywalic jq, mialy — Przed Twe oltarze zanosim
blaganie — Ojczyzng wolnosc racz nam wröcic Panie!"
Die preußische Regierung hat diesem und ähnlichen Liedern die Ehre er-
wiesen, ihren Gesang in den Schulen zu untersagen; vielleicht wäre es besser
gewesen, den Kindern ihr Spielzeug zu lassen. Natürlich hat das Verbot einen
besondern Eifer erregt; ein Propst schrieb der Regierung, er habe das Lied nicht
gekannt, da es aber die Behörde für gefährlich halte, sich vor ihm fürchte, wie
Herodes vor dem Jesuskinde, so werde er es sich verschaffen, es von Kleinen
und Großen singen lassen u. s. w., „weil ich ein Pole bin".
Die polnische Küche. Eigenartig ist in mancher Beziehung die Kochkunst
der Polen auch im Großherzogtum Posen. Ein charakteristisches Merkmal der
polnischen Küche ist, daß die Speisen meist stark mit Pfeffer, Ingwer, Zimt
und Zwiebeln gewürzt sind, eine Eigentümlichkeit, die ebenso in der Hütte des
Arbeiters wie im Schlosse des Magnaten hervortritt. Wenn auch die Ein-
sührung der allgemeinen europäischen Küche bereits manches verwischt und
beseitigt hat. so gibt es doch hier noch viele Spuren jener altpolnischen Küche
aus der berühmten oder vielmehr berüchtigten und selbst den Polen heute ver-
ächtlicheu Zeit, welche die sächsischen Polenkönige herausführten, in der die
Völlerei zur Regel und fast zur Nationaltugend wurde, wie uns das bekannte
Sprichwort sagt:
„Za kröla Sasa „Unterm Sachsenkömg
Jedz, pij i popuszczaj pasa." Iß, trink und laß den Gurt nach."
Es war jene Zeit (1700—1763), in welcher der Bräutigam in den Augen
seiner Dulciuea und ihrer Eltern zum Helden emporstieg, wenn er die ritterliche
Kunst zeigte, einen Kapaun „in der Luft", also nicht auf der Schüssel, zu zer-
teilen; wo bei reichen Gelagen unter den fünfzig andern vorgesetzten Gerichten
einem jeden Gaste ein ganzes junges Ferkel mit Füllung vorgesetzt und von
diesem verzehrt wurde; wo es für eine ganz gewöhnliche Küchenkunst galt, einen
und denselben ungeteilten Fisch an einem Ende zu braten, am andern zu rösten
und in der Mitte zu kochen; wo es als Grundsatz für einen Gastgeber galt:
„Lieber für einen Thaler Verlust als für einen Pfennig Schande."
Diese Zeiten sind freilich jetzt vorüber. Das deutsche Wort „Ein pol-
nischer Magen kann viel vertragen" findet zwar heute auch noch seine Anwen-
dung; aber wenn die Menge der Speisen, die ein polnischer Magen aufnehmen
kann, bei diesem Worte ins Auge gefaßt wird, so findet es wohl mehr An-
Wendung auf den einfachen Mann als auf den Edelmann, bessere Beziehung