1884 -
Leipzig
: Spamer
- Autor: Burmann, Karl, Klöden, Gustav Adolf von, Köppen, Fedor von
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Posen feit dem Jahre 1793. 417
Die Verschworen beschlossen, ihre Führer aus den Gefängnissen zu be-
freien. In der Nacht vom 3. zum 4. März sollten sich die Polen, zunächst in
der Wallischei, dem polnischen Stadtteile, erheben, und während des Tumultes
sollten die Gefängnisse gesprengt werden. Aber auch von diesem Vorhaben
waren die Behörden am 3. März in Kenntnis gesetzt worden, so daß die Auf-
rührer auf bewaffneten und wohlorganisierten Widerstand stießen und auseinander
gehen mußten, nachdem zwei ihrer Anführer beim Einfahren in die Stadt ver-
wundet, einer getötet worden war.
Am 7. März wurde über Posen der Belagerungszustand verhängt. Etwa
250 von den 700 Ergriffenen wurden in Berlin vor den Staatsgerichtshof
gestellt und gegen acht auf Todesstrafe, gegen fünfzig auf Gefängnisstrafe erkannt.
Der 20. August 1848 brachte diesen Verurteilten Befreiung und Amnestie.
Schon infolge der Pariser Februarrevolution regten sich die Polen in
Posen und dachten wieder an eine Wiederherstellung des Königreichs; die Auf-
regung war unerhört. Die ankommenden Zeitungen, die nur durch einen Kampf
zu erringen waren, wurden als Gemeingut betrachtet; niemand durste sie be-
halten, der sich nicht zum lauten Vorlesen bequemte. Schnell sonderten sich
bestimmte Kreise ab. Bald sah man die Polen nur in denjenigen Restaura-
tionen, von denen sich die Deutschen immer mehr zurückzogen.
Da nun die Polen glaubten, daß ihr Aufstand 1846 entschieden gelungen
wäre, wenn sie einen politisch richtigeren Zeitpunkt abgewartet hätten, so war
es natürlich, daß sie jetzt, als das französische Königtum gestürzt war, sich in
fast sämtlichen deutschen Staaten die Unzufriedenen erhoben hatten, der Kampf
des Volkes in Berlin begonnen hatte, den Augenblick für ihre große Schild-
erhebung gekommen glaubten. Am 20. März verbreitete sich mit Blitzesschnelle
das Gerücht von einem Aufstande durch die Stadt. Wie aus der Erde gerufen,
standen die preußischen Soldaten auf den Straßen, das Schloß, in welchem der
Oberpräsident der Provinz wohnt, wurde stark besetzt und auf dem Kanonen-
und Wilhelmsplatze konzentrierten sich bedeutende Truppenmassen, die Läden
wurden geschlossen, aber es kam zu keinem bedenklichen Auftritte. Die Ver-
anlassung zur Unruhe war eine aus Polen bestehende Deputation, die sich zum
Oberpräsidenten mit dem Gesuche begab, eine Petition durch Bevollmächtigte
an den König nach Berlin senden zu dürfen. Die Genehmigung wurde erteilt.
Nach der Rückkunft der Deputation vom Oberpräsidenten steckte sich hier und
da ein Pole eine Schleife von weißen und roten Bändchen an. Es bildete sich
das polnische Nationalkomitee. So war der Nachmittag gekommen, die Unruhe
war geschwunden, und das schöne Wetter lockte die Bevölkerung auf die Straßen,
in denen meistenteils von Damenhänden aus den geöffneten Fenstern die roten
und weißen Bändchen, Schleifen und Kokarden wie ein Schwärm bunter
Schmetterlinge herabschwebten; bald zeigte sich auch hier und da eine polnische
Fahne, und ehe der Abend kam, trug alles, was sich Polen nannte, bis auf den
zerlumpten Bettler, die nationalen Abzeichen.
^ Leider blieb es nicht bei dieser friedlichen Begeisterung; es wurde ein
Geist heraufbeschworen, der schwer zu bändigen war und einer nach Freiheit
strebenden Nation ebenso unwürdig ist wie eines jeden einzelnen Edelmannes.
Der Vorsitzende des polnischen Komitees, Buchhändler Stefanski, verbreitete
eine gedruckte Ansprache an die Deutschen, welche unter vielen Schmähungen
Deutsches Land und Volk. Viii. 27