1884 -
Leipzig
: Spamer
- Autor: Burmann, Karl, Klöden, Gustav Adolf von, Köppen, Fedor von
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
436 Im Regierungsbezirk Posen.
deren Stammtafeln nichts als Räuber und Diebe nachweisen. Eine wahre Geißel
aller öffentlichen Kassen und begüterten Privatpersonen, hatten sie es verstanden,
seit einer Reihe von Jahren, ja seit einem Menschenalter ihr verbrecherisches
Treiben fortzusetzen, größtenteils nur von und durch Diebstahl zu leben und
oft zahlreiche Familien zu erhalten, ohne von der strafenden Gerechtigkeit mehr
als höchstens oberflächlich berührt zu werden."
Von den in der Verhandlung erörterten Verbrechen bestehen 506 aus
Raub und gewaltsamen oder sonst beträchtlichen Diebstählen, durch die 46 öffent-
liche Kassen und 460 Privatpersonen, soweit sich der Betrag hat feststellen lassen,
um mehr als 210 000 Thaler bestohlen worden sind: die Akten bestehen aus
2050 Bänden. An Zuchthausstrafe wurde in erster Instanz erkannt auf 1264
Jahre, an körperlicher Züchtigung auf 1380 Streiche. Zu 10 Jahren und
darüber sind 56 Individuen verurteilt, das höchste Strafmaß ist 30 Jahre;
freigesprochen find von den Angeschuldigten nur fünf Personen.
Merkwürdige Resultate hat die Untersuchung des gaunerischen Banden-
Wesens zu Tage gefördert, von denen nur einiges angeführt werden soll. Die
Diebe sind vollständig organisiert, jeder hat bestimmte Aufgaben, die zu lösen
er am meisten geeignet erscheint, jeder hat seinen Spitznamen, mit dem er ge-
rufen wird, nm nicht verraten zu werden; die Diebe sprechen ihre eigne Sprache,
in der vieles aus dem Hebräischen entlehnt ist; sie wenden dieselbe an, um von
unbemerkten Lauschern nicht verstanden zu werden. Mehrere Diebe vereinigen
sich zu einer Chäwre oder Chawrnsse, d. h. zu einer Diebesbande. Jede Ge-
sellschast hat einen Bohnherrn oder Balmassematten, d.h. einen Anführer; seine
Wahl hängt von der Größe seiner Geschicklichkeit'im Einbrechen, im Öffnen von
Schlössern oder dergleichen ab. Jede Chawrusse besitzt ihr gemeinschaftliches
Schränkzeug (d.h. das zum Einbrechen erforderliche Werkzeug), ihre Klamoniß
(d. h. Nachschlüssel) und ihr Fuhrwerk. Die Diebe zerfallen in verschiedene
Klassen. Diejenigen, welche mittels nächtlichen Einbruchs stehlen, heißen Schrän-
ker; Nachschlüsseldiebe werden Taltalmifch, auch Kuffer, Latthener genannt. Die
bei Tage stehlen, heißen Jommakkener; ein Schottenseller betreibt den Diebstahl
auf Messen, Märkten und in Kaufläden; ein Torfdrucker oder Seifensieder ver-
übt den Taschendiebstahl ans Messen und Märkten, im Theater und bei Volks-
festen; Chalseu sind Leute, die beim Umwechseln des Geldes stehlen; Kitten-
schieber sind solche, die sich in Häuser einschleichen, besonders in den Morgen-
stunden, dann in die Zimmer treten und, wenn sie keinen Menschen in denselben
finden, Geld und Wertsachen entwenden; Goleschächter pflegen von Reise- und
Frachtwagen Koffer oder Warenballen abzuschneiden; die Tchillesgänger gehen
in den Abendstunden oder in der Dämmerung auf Diebstahl aus; die Nepper
prellen besonders die Landleute, indem sie ihnen falsche Ware für richtige, un-
echte für echte ausgeben, z. B. Tombak für Gold, Neusilber für echtes Silber.
Eine wichtige Rolle fpielt in der Bande der Baldower, oft alte und schwache
Leute, die selbst nicht mehr stehlen können; sie haben die günstige Gelegenheit
zum Diebstahle auszukundschaften, ihnen gebührt dann ein bedeutender Anteil
an der Beute.
An vielen Stellen haben die Diebe ihre Chessen Spiesen oder Ehesten
Pennen (d. h. ihre Diebesherbergen), in denen sie zusammen ihre verderblichen
Pläne schmieden und das geraubte Gut verprassen.