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1. Bilder aus der Mark Brandenburg, vornehmlich der Reichshauptstadt - S. 206

1882 - Leipzig : Spamer
206 Berliner Volkscharaktere, und auf der ganzen Linie quer durch Amerika bis Neuyork finden wir Berliner Ver- gnügnngsreisende verstreut. Der fünfte Kontinent war von ihnen bisher verschont, aber kein Zweifel, daß nach dem Erfolge der Ausstellungen in Sydney und Mel- bonrne, bald der Berliner auch Australien lebhaft heimsuchen und ein gewissen- hafter Reisestatistiker, frei uach David (Psalm 139), sodann wird ausrufen können: „Nähme ich Flügel der Morgenröthe und bliebe am äußersten Meer — so träfe ich Berliner. Und spräche ich: Finsterniß soll mich decken, so würdeu doch Berliner um mich sein. Führe ich gen Himmel, so wären Berliner da; bettete ich mich in die Hölle, siehe, so ist der Berliner auch da." Wer wollte dem Reichsstädter aus diesem Drang, die Welt zu sehen, einen Vorwurf machen, gilt doch das Reisen als eins der vorzüglichsten Bildungs- mittel. Und wer müßte nicht berücksichtigen, daß Berlin, da es mit seiner ungeheuren Bewohuerzahl alle übrigen Städte Deutschlands (z. B. die nächst- größte deutsche Stadt, Hamburg, fast um das Fünffache) übertrifft, ganz abge- sehen von der besonderen Reiselust seiner Insassen, ein ungleich größeres Touristenkontingent schon nach der bloßen Wahrscheinlichkeitsrechnung zu ver- breiten hat. Daß der Berliner also, nach jener Travestie des Psalmisten, allüberall durch seine Gegenwart auffällt, liegt in der Natur der Verhält- nifse. Aber wie fällt der einzelne Berliner auf? Offenherzig gesprochen, nicht immer zum Preise des Kollektivbegriffes. Mau wirft ihm ein geräuschvolles, hervordräugendes Wesen vor. Man will bemerken, daß er nicht im Stande ist, auch nur eine Stunde seiue lokale Herkunft zu verschleiern und daß er überall, auf der schneeigen Alm, auf dem Rheindampfer, in den Museen Dresdens und Münchens, an der schönen blauen Donau u s. f. u. s. f. sein Berlin übermäßig lobt und Vergleiche mit der Fremde anstellt, die nicht zu deren Gunsten ausfallen, aber Einseitigkeit und Ueberhebnng doknmentiren. Daß ein solcher Typus von Berliner Reisenden existirt, beweisen die zahllosen Schilde- rungen desselben. Dieser Menschenschlag giebt ein unerschöpfliches Thema für die süddeutschen Witzblätter z. B. die Münchener Fliegenden Blätter, aber auch für den Kladderadatsch und andere Berliner Journale, ein Beweis, wie der Typus als solcher auch am Sitz seiner Heimat erkannt wird. Das sind, wunderlich genng, dieselben Leutchen, welche in Berlin alles Berlinische tadeln und, wenn sie von der Reise heimgekehrt sind, das Fremde bis in den Himmel erheben, um — sobald die ersten Lerchen wiederum schwirren — das nämliche Spiel zu wiederholen. In einem Kapitel, welches die Volkscharaktere schildert, darf dieser Typus des Berliners nicht fehlen; nur möge man nach ihm nicht alle Berliner Reisen- den, oder gar alle Berliner überhaupt taxiren, es wäre das so ungerecht, als wenn man nach den sogenannten Londoner slioemakers, welche einem auf der Reise oftmals unangenehm genug erscheinen, alle englischen Reisenden, alle Londoner, alle Engländer, benrtheilen wollte. Auch erfordert es die Gerechtig- keit, als Gegenstück einmal den „Kleinstädter in Berlin" unter der Loupe zu betrachten. Aus naheliegenden Gründen lasten wir hier einen Nichtberliner, einen Annektirten, einen „Mußpreußen", der Berlin in vorgerückteren Jahren zum ersten Mal besucht, sein süddeutsches Vorurtheil besiegt und Stadt und Bewohnerschaft aufmerksam studirt, endlich mich liebgewonnen hat, reden: „Der deutsche Kleinstädter ist ein seltsames und nicht allzuliebenswürdiges Wesen, zumal wenn er sich für gebildet hält. Er hält sein Mottenburg für
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