1882 -
Leipzig
: Spamer
- Autor: Friedel, Ernst, Lüders, Hermann, Klöden, Gustav Adolf von, Köppen, Fedor von, Schwebel, Oskar
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
224 Ausflug nach Potsdam.
I)as Wititärwaisenhaus. Streng, aber väterlich! Das war die
Losung des Soldatenkönigs. Dies bekundete er n. A. in der Erbauung einer
Versorgnngs- und Erziehungsanstalt in Potsdam im Jahre 1722. Die An-
stalt umfaßt das große Knabenwaisenhaus, das Mädchenwaisenhaus, das Haus
für Offizierstöchter und das Lazareth, mit reicher Dotirnng in Ländereien. Die
Anstalt wurde für arme Soldatenkinder des ganzen Heeres bestimmt, welche
über sechs Jahre alt und nicht gebrechlich sind. Alle wurden nicht nur gauz frei
ernährt und gekleidet, sondern auch unterrichtet und erzogen, auch bei ihrer
Entlassung ausgesteuert. Die Einrichtung war um so segensreicher, als bei
dem damaligen Werbesystem die Soldaten sehr lange, oft zeitlebens, in ihrem
Stande blieben und heiratheten, fo daß die Hinterbliebenen nicht felten in Roth
geriethen. Diese Verhältnisse haben sich seit der Einführung der allgemeinen
Wehrpflicht erheblich geändert; noch immer aber ist das Militärwaisenhaus
ein überaus wohlthätiges Institut, nebenbei für das preußische Heer aber auch
von Bedeutung, da es demselben trefflich vorgebildete Unteroffiziere liefert.
Die Disziplin, obwol militärisch streng, unterdrückt den natürlichen Frohsinn
in den Kindern keineswegs, wie man in den Freistunden bei den Spielen, ans
den Spaziergängen n. s. f. leicht beobachten kann. Das Gebäude zeichnet sich
mehr durch seine Weitläufigkeit aus als durch seinen Stil, welcher der Ent-
stehnngszeit entsprechend nüchtern ist. Eine vom kunstgeschichtlichen Standpunkte
traurige Beziehung knüpft sich an die Erbauung des Militärwaisenhauses: die
Zerstörung des ältesten Gotteshauses, ja gewissermaßen des geheiligten Wahr-
zeichens der ganzen Mark Brandenburg, der berühmten, im byzantinischen
Stile erbauten Marienkirche auf dem Marien- oder Harlnnger Berg
bei Brandenburg.
Den Besuchern des Königs nnsers Harzgebirges, des Brocken, wird im
Nordosten des Horizontes, in etwa 155 km Luftlinien Entfernung, ein kaum
sichtbarer Punkt, der sagenumwobene Harlnnger Berg, gezeigt, der Berg, welcher
die erste christliche Kirche auf dem rechten Elbufer getragen haben soll, lieber
den Namen Harlnnger Berg ist viel fabnlirt worden: in die Kriegszüge wider
die Wilzen, welche Karl der Große bezwang, wird er verflochten, und vielleicht
will der Name Harlunger Berg nichts als Karlinger Berg, einen der Punkte,
auf welchem die fränkischen Christen über das Wendenland Umschau hielten,
andeuten. Einst stand auf ihm der Tempel des dreiköpfigen Gottes Triglasf,
und noch lange ward dieser hölzerne Götze in dem herrlichen, zuerst 1166 er-
wähnten Gotteshause bewahrt. Später verfiel dasselbe aus Verwahrlosung
im Innern etwas, war aber im Ganzen und Großen noch wohl erhalten, als
Friedrich Wilhelm I. Besehl gab, das Gebäude abzubrechen, um die Steine
für den Bau des Potsdamer Waisenhauses zu verwenden: eine That, welche
Emil Dominik eine Roheit sonder Gleichen, für die nicht einmal die Jahres-
zahl des schmachvollen Ereignisses 1722 als Entschuldigung dienen könne, be-
zeichnet. Umsonst hatte sich das Brandenburger Domkapitel widersetzt, umsonst
der Magistrat sich erboten, wenn die Kirche erhalten bleibe , aus seinen Ziegeleien
die Steine umsonst nach Potsdam zu liefern. Mit Pulver mußte das zähe
Mauerwerk zersprengt werden, über ein Jahr dauerte das Niederreißen und
das Nachwühlen in der Erde. Das Letztere war dem Könige sicherlich die
Hauptsache; er war mehr Schatzgräber als Kirchenverwüster.