1878 -
Leipzig
: Spamer
- Autor: Klöden, Gustav Adolph von, Regnet, A., Köppen, Fedor von, Barth, Hermann von
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Regionen (OPAC): Bayern
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Zustand des Reichs nach dem Dreißigjährigen Kriege.
Die ideale Begeisterung, welche das deutsche Volk im Jahrhundert der
Reformation erfüllt hatte, war während des langen Krieges vollständig er-
loschen; das religiöse Interesse mußte beim Friedensschlüsse hinter politischen^
territorialen und dynastischen Rücksichten zurücktreten. Die einzige Errungen-
schast, die Glaubensfreiheit der Protestanten, wurde diesen durch die innerhalb
der Kirche herrschende Spaltung zwischenlntheranern und Reformirten, zwischen
„Rechtgläubigen" und „Frommen" verkümmert. Das Reich überdauerte die
Stürme des Krieges nur als eine Ruine. Nach außen erlitt es Einbuße durch
deu Verlust von Ländern am Oberrhein und an der Ostsee (ein Theil des Elsaß
an Frankreich, der größte Theil von Pommern, Rügen, Wismar, Bremen
und Verden an Schweden); seine Grenzen blieben schutzlos deu Raubeiusällen
Ludwig's Xiv. preisgegeben, welcher die Zerrissenheit Deutschlands zu neuen
Eroberungen für Frankreich benutzte (Straßburg 1681). Im Innern erhoben
sich die Fürsten mit landeshoheitlichen Rechten und mit mehr Herz für ihren
Hausstaat, als für des Reiches Ehre und Größe. Das Haus Habsburg selbst,
bei welchem die Kaiserkrone seit zwei Jahrhunderten (seit 1438) verblieben
war, erschien sast als eine fremde Macht im Reiche und die Kaiserwürde nur
noch als ein herkömmlicher, bedeutungsloser Titel. Der Gedanke, daß Alle
nur Glieder eines Körpers seien und daß nur im Zusammenwirken ihre Macht
läge, war verloreu gegangen, und es bildete sich eine Menge von kleinen
Staaten ohne Gemeinsinn und ohne politisches Band.
Das mittelalterliche Lehusweseu hatte sich überlebt, das Ritterthum in-
folge der veränderten Bewaffnung seit Anwendung des Schießpulvers seil:
Vorrecht als kriegerischer Staud verloreu. Die Fürsten behielten die während
des Krieges geworbenen Heere auch nachdem Kriege als stehende Sold-
truppeu bei und schuseu sich damit zugleich eine Waffe, um die Freiheiten
des Adels und der Städte zu brechen. Der Adel, der an seinen zerstörten
Burgeu keiu Behagen mehr fand, zum Theil auch verarmt war, suchte Dienste
bei den Höfen oder in den Soldheeren der Fürsten. Unter den Städten verloren
viele ihre alte Reichssreiheit und Selbständigkeit an die Landesfürsten. Die
alten Reichsstädte, deren Bedeutung für den Handel noch mehr durch den langen
Krieg, als dnrch die Verlegung der Handelswege gelitten hatte, wurden durch
die fürstlichen Residenzstädte überholt.
An jedem der kleinen Höfe gab es eine Schar von Beamten, Rüthen
und Schreibern; jeder der kleinen Fürsten hatte ein stehendes Heer für sich, die
erhöhten Abgaben dafür sielen der Bevölkerung zur Last. Diese Kleinstaats-
bildungen wurden noch bedenklicher, als die Fürsten, das Beispiel des Ver-
sailler Hofes nachahmend, in Glanz und Ueppigkeit ihrer Hofhaltungen eiu-
ander zu überbieten suchten.
Beklagenswerther als die Zerstörung des nationalen Wohlstandes, die
Verödung der Dörfer und Fluren, die Vernichtung des Handels und die Lösung
der politischen Bande war die Veränderung, welche in Sitten und Charakter
des Volkes vor sich giug. Erloschen war jener altgermanische Zng, welcher
den Deutschen in seinem Kaiser den Schützer der Gemeinfreiheit erblicken ließ,
erloschen die mauuhafte Treue, mit welcher er sich aus freiem Herzensantriebe