1878 -
Leipzig
: Spamer
- Autor: Klöden, Gustav Adolph von, Regnet, A., Köppen, Fedor von, Barth, Hermann von
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Regionen (OPAC): Bayern
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
66 Sprache, Stämme und Mundarten.
und unter diesen eine Stufe der Civilisation, welche an die Bewohner
der Urwälder Amerika's erinnert.
Die Deutschen, welche ungefähr zwei Drittel der Gesammtbevölkerung in
den Provinzen Ost- und Westpreußen bilden, sind zwar zum Theil aus
Süddeutschland eingewandert, doch haben sie sich die kühle Anschaunngs- und
Denkweise des Nordländers angeeignet. Unempfänglich für die Wirkung der
tönenden Rede, sind sie nur der nüchternen Verstandesmäßigkeit zugänglich,
daher einsichtig und scharfsinnig, allein Scheinwesen abhold, rücksichtslos und
trocken. Schon der Beiname von Königsberg, der Vaterstadt des großen Welt-
weisen Kant (geb. 1724), als „Stadt der reinen Vernunft", deutet auf diese
Eigentümlichkeit des preußischen Wesens hin. Auch der große Klassiker, der
in Preußeu das Licht der Welt erblickte, Johann Gottfried Herder (geb. zu
Mohrungen 24. Aug. 1744) hat mehr durch Belehrung und kritisches Urtheil,
als durch eigene dichterische Schöpfungskraft gewirkt. Was an der Bevölkerung
dieser Länder uusere besondere Anerkennung verdient, das ist ihre Anhänglich-
keit an das große Ganze, die Treue, mit der sie auch auf diesem vorgeschobenen
Posten das Banner des Deutschen Reichs hoch und in Ehren halten. Es ist
das gesunde deutsche Blnt, welches auch diese weit hinausgesandte Ader
unseres Volksthums lebenskräftig durchströmt.
Die oberdeutschen Mundarten vertheilen sich anf vier Stämme, von welchen
die Thüringer und Franken in Mitteldeutschland, Bayern und Schwaben in
Süddeutschland zu finden sind.
Recht im Herzen Deutschlands, vom Thüringer Walde bis an den Harz
und von der Werra bis zur Saale und Elster, mitteninne zwischen Sachsen und
Franken, wohnt der faugesfrohe, lebenslustige Thüringer, des deutschen
Volkes Herzblatt, mit dem klaren Ange, dem treuen Gesichte, die nnverwüst-
liche Heimatsliebe im Herzen. Anstellig und bildsam, sinnig und fleißig, ver-
mittelt der Thüringer nordischen Ernst und südliche Lebhaftigkeit, nordische
Verständigkeit und südliches Gemüth. Ueberall nmgiebt ihn die Sage in
mannichfach lieblicher Gestalt. Aus der goldenen Aue hebt sich der Kyffhänser,
ernst und fchweigend, selber einem träumenden Kaiser gleich; aus grünem
Waldeskranze blickt die Wartburg hervor und weckt die Erinnerungen an den
edlen Wettstreit der Sänger, an das Walten der heiligen Elisabeth und an deu
wackern Gottesstreiter Martiu Luther, und um den Hörselberg, in dessen Innerem
der Tannhäuser bei Frau Venus weilte, waudelt uoch immer warnend der ge-
treue Eckard. Im Walde aber klingen die lebendigen Lieder gefiederter Sänger
und erregen die Sangeslust in der Menschenbrust. Musik ist die Freude des
Thüringers, in der Kirche wie auf der Vogelwiese, beim Schleifer und Ländler
wie bei der Feldarbeit; selbst die Glocken der weidenden Herde sind harmonisch
gestimmmt, und Alles, was ihm das Leben schön macht, nennt er Musik. Es
ist kein Zufall, daß das Thüringer Land allezeit die Sänger und Dichter au
sich gelockt hat und daß, wie die Wartburg in der Zeit der ersteu Hochblüte
unserer Literatur, so der Dichterhof zu Weimar in der zweiten der Sammel-
Punkt der größten deutschen Dichter wurde. Aus Thüringen und zwar aus
Eisenach stammt auch die berühmte Künstlerfamilie Bach, in welcher die