1878 -
Leipzig
: Spamer
- Autor: Klöden, Gustav Adolph von, Regnet, A., Köppen, Fedor von, Barth, Hermann von
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Regionen (OPAC): Bayern
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Tegernsee und Schliersee; das Sankt-Leonhardsfest. 217
Vom Schlosse zieht sich das gleichnamige Dorf mit freundlichen Landhäu-
sern und wohlgepflegten Blumengärten und mit seiner heiteren, lebensfrohen
Bevölkerung in nördlicher Richtung am Ufer des Sees hin. Der Pfarrsprengel
dehnt sich um deu ganzen See. Da ist es denn ein lieblicher Anblick, wenn an
Sonn- und Feiertagen nach beendigtem Gottesdienst in der Schloßkirche zu
Tegernsee die Landleute — Männer und Frauen, Burscheu und Dirnen — in
ihren schmücken Trachten, das Gebetbuch in der Hand, die zur Heimfahrt am
Ufer bereit liegenden Kähne besteigen. Wenige Minuten später ist der ganze
See von schlanken Nachen belebt, die sich in den verschiedensten Richtungen
kreuzen. Unter fröhlichem Zuruf der darin Sitzenden gleiten die schwerbeladenen
Nachen an einander vorüber. Die langen Ruder greifen mächtig aus, deun da-
heim wartet das Mittagsmahl und während des Betens ist der Appetit gekommen.
Südlich von Tegernsee führt der Weg durch das immer enger werdende
Weißachthal, zu dessen Seiten rechts Ringspitz, Hirschberg, Hoch-
blatten und Hopssteiu, links der Wallberg, Risserkogl und Grün-
berg sich erheben, nach dem Wildbade Kreut, welches König Max Josef neu
einrichten ließ. Der Marmorbruch zur Rechten der Straße nach Kreut lieferte
manchen Block, manche Säule uach Tegernsee, München und selbst nach Wien.
Wir wenden uns von Tegernsee ostwärts über die Gindelalphöhe nach
Westenhofen zum Schliersee.
Der Schliersee prangt weniger mit kunstvollen Useranlagen und Land-
Häusern, als sein Nachbar, der Tegernsee, ist aber dessenungeachtet anmnthig
und freuudlich. Seine landschaftlichen Reize wurden erst in den zwanziger
Jahren von Münchener Malern entdeckt, übten aber seitdem alljährlich
ihre Anziehungskraft auf die Münchener aus, die auch hier ihre Sommer-
frifchen suchten. Am östlichen Ufer des Sees erheben sich auf hohem Felsen-
vorsprnng die Trümmer von Hohen-Waldeck, des alten Stammsitzes „Derer
von Waldeck", und an seinem nördlichen Gestade liegt das Dorf mit stattlicher
Kirche und hohem Spitzthurm. Der Name der austeinem Hügel dicht daneben
unter Bäumen halb versteckt gelegenen „Weinberg-Kapelle" erinnert an das
Kloster, das ehemals hier gestanden, und an den von seinen Mönchen ge-
Pflegten Wem. Uus gelüstet nicht nach dem Wein vom Schliersee, aber wir freuen
uns des lieblichen Blickes über seine wellige Fläche, seine belebten waldigen
Ufer und auf die im Süden ihn umragenden Berge, unter denen die Brecher-
spitz, die Rothwand und der Jägerkamp sich am höchsten erheben.
Verweilen wir noch am letzten Sonntag des Juli am Schliersee, so bietet
sich uns Gelegenheit, uns der berühmten Le onhards fahrt nach Fisch Hausen
am südlichen User des Sees anzuschließen. Im östlichen Vorgrund des Dorfes
steht eine hübsche Kapelle, das weite Thal beherrschend, dessen malerischen
Hintergrund der mächtige Hagenberg und die kühn ansteigende Brecherspitz
bilden. Das Kirchlein ist dem heiligen Leonhard geweiht, und zu ihm geht die
große Wallfahrt, aber nicht zu Fuße, sondern zu Wagen und zu Rosse, denn
die Thiere sollen mit erscheinen bei dem Feste ihres Schutzheiligen. Kühe und
Rinder sind droben auf der Alpe, aber das Pferd, der stolze Hausgenosse des
Menschen, schreitet mit im festlichen Zuge. Vom frühen Morgen an rasseln