1. Bd. 1
- S. 56
1874 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Iii. Länder- und Völkerkunde.
Wegen des größern Ertrages, welchen die Viehzucht gegenüber der Jagd
gewährt, ist es nicht mehr nöthig, in abgesonderten kleinen Stämmen über
das Land zerstreut zu wohnen. Es können sich größere Gesellschaften bilden;
in Folge dessen entwickeln sich die Familienverhältnisse immer mehr und
mehr, die sittlichen und religiösen Ideen werden klarer.
Doch hat das Nomadenthnm eine große Schattenseite. Es zwingt die
Stämme zu immerwährendem Wandern, wodurch viele Zeit, an der wohl
dem Nomaden wenig liegt, verloren geht. Nebstdem ist es noch zu sehr aus
die Stillung der täglichen Bedürfnisse berechnet und ist nicht im Stande,
eine größere Menschenmenge dauernd zu ernähren. Letzteres vermag der
Ackerbau allein zu leisten. Daher steht der Ackerbauer höher als der
Nomade. Der Ackerbau allein ist im Stande, eine Cultur, welche über die
täglichen Bedürfnisse hinausgeht, zu erzeugen. Der Ackerbau macht dem
Wandern Einhalt und bewegt den Menschen, nicht nur seine Hütte fester
und wohnlicher aufzubauen, sondern seine ganze Umgebung sich einzurichten.
Die Pflege des Bodens erfordert eine gleichmäßige Arbeit, die dem Nomaden
fremd ist. Trotzdem gewinnt der Ackerbauer, da er des zeitraubenden Wan-
derns überhoben ist, so viel Zeit, um auch andere Bedürfnisse, welche sich
regen, zu befriedigen. Dazu gibt ihm nicht nur der reichliche Ertrag seines
Bodens die hinreichenden Mittel, sondern derselbe setzt ihn in den Stand,
auch Andere für gewisse, ihm zu leistende Arbeiten und Dienste zu ernähren«
Während der Nomade in weit von einander liegenden Gemeinschaften
zu wohnen gezwungen ist, da er größerer Strecken Weidelandes zur Ernäh-
rung seiner Herden bedarf, können die Ackerbauer ganz nahe zusammen-
rücken und in großen Gemeinschaften zusammenwohnen. Es können sich nicht
nur Gemeinden, sondern auch Staaten bilden. Allen jenen Bedürfnissen
der Kleidung und Nahrung, welche vom Jäger und Nomaden innerhalb der
Familie befriedigt werden, widmen sich nun Leute von besonderer Kunstser-
tigkeit. Es entwickelt sich die Industrie.
Nicht auf jedem zur Ausübung des Landbaues tauglichen Flecken Lan-
des kann sich aber eine höhere Cultur entwickeln. Es sind nur einzelne
große, durch massenhafte Gebirge geschützte und von bedeutenden Strömen
durchschnittene Ebenen oder günstig gelegene Inseln, auf denen sich die
Menschen zu größeren Gesellschaften ansammeln und in wechselseitigem Verkehr
mit einander die Elemente der Cultur selbständig erzeugen können.