1. Bd. 1
- S. 122
1874 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
122 Iii. Länder- und Völkerkunde. A. Europa.
und in ihrem glatten Spiegel nicht nur das wundervollste Bild zurückwirft,
sondern dieses durch ihre Wogen auch noch bedeutend hebt und verschönert.
Und wirklich ist auch längs der ganzen sich lang hinziehenden östlichen Küste
des Adriatischen Meeres das Grün der Citronen-, Oliven- und Orangen-
bäume so wie anderer südlicher Pflanzen nirgends so lachend und ausdauernd,
als in der Gegend von Castel Nuovo. Kommt man jedoch in die eigentliche
Bucht von Cattaro, so ändert sich plötzlich die ganze Scene; ringsum thürmen
sich hohe Felswände auf, die steil ins Meer hinabfallen, überall schwarze
Schlünde und Abgründe zeigen und deren Gipfel bis in den Sommer hinein
mit Schnee bedeckt sind.
Gleichwie in den Widersprüchen des Landes und der Pflanzenwelt findet
man deren auch bis zum heutigen Tage in den Sitten und dem Leben der
Einwohner der cattarischen Gegend. Im Küstenlande erheben sich fröhliche
Städte, blühen Handel und Wandel, wo das Auge hinblickt, trifft es auf
prächtige Paläste und Sommerhäuser, die von Seeleuten bewohnt werden,
denen die Küsten Frankreichs und Englands eben so bekannt sind, wie die-
jenigen von Nord- und Süd-Amerika. Treten wir aber aus dem kosmo-
politischen Kreise der Bocchesenso. h. der Küstenbewohner) in das Innere des
Landes, zwischen die hohen Berge, wo die Pflanzenwelt ihr elendes Leben
dem Felsen abringen muß, die vom Schnee verwehten Weiden dem Rindvieh
und den Ziegen nur elendes Futter geben und der Mensch auf den unfrucht-
baren Feldern kaum nothdürftig seine Nahrung findet, so hat das Volk
gleich eine andere, und zwar eine echt nationale Physiognomie. Da gibt es
kräftige, rauhe, aber doch schöne Gestalten mit eisenfestem Körper und einem
Auge, in welchem wilde Hartnäckigkeit funkelt. Sprache und Sitten find bei
ihnen noch die nämlichen, wie zur^Zeit, als Griechen und Römer mit ihnen ver-
Zehrten, und auch ihr Anzug sieht noch eben so aus, als wenn sie unlängst
erst die Gegend um den Ararat verlassen hätten. Den Kopf bedeckt der mit
einem Tuche in Gestalt eines Turbans umwundene oder mit Pelz verbrämte
rothe türkische Feß, Hals und Brust sind entblößt; die übrigen Kleidungs-
stücke bestehen aus einem bequemen, kurzen Rock von weißem oder grauem
Tuche, einem rothen breiten Gürtel, kurzen blauen Hosen, die unter den
Knieen mit einer Schnur zusammengebunden sind, wollenen, mit farbigem
Band umwundenen Strümpfen und aus verschiedenfarbigen Riemen ge-
flochtenen Sandalen. Eine dick-zottige Decke mit einer Kapuze hängt auf
einer Achsel und vertritt die Stelle des Mantels. So geht der Monte-
negriner (Tschernagorze), es mag Sonn- oder Werktag sein- Seinem Portrait
würde ein wichtiger Theil fehlen, wollte man die Waffen vergessen, von
denen er sich nie trennt. Sie sind: ein scharfes, krummes, langes Messer
von Stahl, zwei reich ausgelegte Pistolen so wie andere kleine Mordwerk-
zeuge, die im Gürtel stecken, und die an einem Riemen Hangende lange
Flinte von der wundervollsten Arbeit. Dazu kommt noch das lange Weichsel-