1. Bd. 1
- S. 326
1874 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
326 Iii. Länder- und Völkerkunde. A. Europa.
tischer. Das Berghaus dicht unter dem Gipfel (2683 M.) ist nächst dem Stations-
Hause auf dem Stilfferjoch die höchste menschliche Wohnung in Europa. Ueber die
großescheidegg führt ein sehr belebter Saumweg, fortwährend im Angesichte
der Bergriesen und Gletscherfelder, nach dem schönsten Gletscher der Alpen-
weit, dem von Rosenlaui, der seinen Ruf theils seiner Reinheit, theils
seiner wundervollen Spaltenfärbung verdankt. Da er beinahe keine Berg-
wände streift, so führt er auch keinen Moränenschutt mit sich, wodurch der
untere Grindelwaldgletscher ein so schmutziges Ansehen erhält, und zeigt
daher überall klares, blankes Eis, wie kaum ein anderer Gletscher. Ueber
die Stufen der gewaltigen sieben Reichend ach fälle hinunter gelangen wir
aus den höhern Alpenthälern in das tiefe Hauptthal der Aare, welche aus
dem obern Haslithal hervorströmt, nachdem sie in Verbindung mit dem
Merlenbach den imposanten Handecksall gebildet hat. Beide Bergströme
brausen hier von verschiedenen Seiten her einer tief ausgewaschenen Schlucht
zu und mischen in dieser aufstäubend ihre donnernden Fluten. Weiter auf-
wärts bildet das Hospiz aus dem Grimselpaß einen beliebten Ausgangs-
Punkt für wissenschaftliche Gletscherstudien, wie solche Agassiz, L. von Buch,
Desor und andere Geognosten von hier unternommen haben. Auch gehen
von der Grimsel aus die Wege er kühnen Alpenfreunde, welche das Si-
delhorn, die Jungfrau, die Schreckhörner, das Wetterhorn und selbst das
gewaltige Finsteraarhorn bestiegen haben. Die meisten Reisenden aber wählen
den Ausflug an den R h o n e g l e t f ch e r, der nicht nur zu den mächtigsten,
sondern auch zu den interessantesten Gletschern der Schweiz gehört sowohl
wegen des Reichthums seiner blauen Spalten, als wegen des Ursprungs
der Rhone.
So ist in dem Berner Oberland eine seltene und außerordentliche
Mannichfaltigkeit der großartigsten und reizendsten Naturscenen aus kleinem
Räume zusammengehäuft, und um diese alle kennen zu lernen, reicht eine
Woche hin, die dann zu den genußreichsten des Lebens zu zählen ist.
g. Die beiden Appenzell.
Wie das kleine Unterwalden noch in zwei Staaten getheilt ist (s.s. 316),
so zerfällt das nur halb so große Appenzellerländchen (abbatis cella) ebenfalls
in zwei Halbcantone, und zwar nach der Confefsion. Der kleinere (noch
nicht 3 Hh-M. umfassende), katholische, dicht um den Säntisstock liegende,
heißt Jnner-Rhoden (Rhodenbezirk) und betreibt, neben derviehzucht
auf den saftgrünen Matten, eine Industrie, die sich auf feine Handstickerei
beschränkt, aber zu einer seltenen Schönheit und Vollkommenheit gediehen
ist. In dem größern (4—5 Om.), reformirten und weit wohlhabendem
Außer-Rhoden blüht Handel und Fabrication im Großen und dieser