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1. Bd. 1 - S. 350

1874 - Köln : DuMont-Schauberg
350 Iii. Länder- und Völkerkunde. A. Europa. thätigkeit, das sind Eigenschaften, welche man vorzugsweise dem Norden im Gegensatz zum Süden vindicirt; diesem schreibt man dagegen ein sanguinische- res Temperament, eine regere Phantasie, größere Fröhlichkeit, eine poetischere Natur zu. Der Nordländer überhaupt, und so im gewissen Grade auch der Nord- deutsche, hat das ganze Jahr hindurch mit den rauhen Einflüssen der Natur zu kämpfen. Er lebt mit ihr fast in einem feindlichen Verhältnisse. Seine ganze Existenz ist eine viel künstlichere und berechnete. Der Südländer überhaupt, und so mehr oder weniger auch der Süddeutsche, lebt in und mit der Natur als ihr Freund. Er wird gleichsam ein Naturkind und nimmt den leichteren und unbefangeneren Sinn eines solchen an. Dazu kommt nun noch die Einförmigkeit des flachen, sandigen, sumpfigen, nebligen Bodens von Norddeutschland und der damit scharf contrastirende mannichsaltige Schmuck der süddeutschen Landesnatur. In den Bergen und Thälern von Süddeutschland, welche die Phantasie so mannichfaltig anregen, sind die meisten der schönen deutschen Volkssagen entstanden. Dort sind die Haupt- sitze und Quellen der deutschen Volkspoesie. Das Nibelungenlied und überhaupt alle unsere ältesten nationalen Dichtungen haben sowohl ihren Hauptschauplatz als auch ihre Geburtsstätte in Süddeutschland. So lange die deutsche Poesie noch wahre Volkspoesie, ein Gemeingut Vieler war, blühte sie (der Minnegesang, die Meistersänger) vorzugsweise in Süddeutschland. Erst als nach Erfindung der Buchdruckerkunst, mit der Ausbildung unserer ver- seinerten Schrift- und Literatursprache, Apollo vorzugsweise unter den Gebil- deten und Gelehrten sich seine Jünger erwählte, gingen aus Norddeutschland große Dichter hervor. Der Witz des Norddeutschen ist mehr kritischer, beißender Natur, der des aufgeweckten und drolligen Schwaben ist gemüthlicher, mehr poetischer Natur. Die Producte des Berliner Witzes und die des Münchener Volkswitzes können hier als Repräsentanten des Nordens und Südens gelten. Ein größerer Frohsinn und eine größere Herzlichkeit geht so weit, als die Rebe in Deutsch- land rankt. Gesang ist vorzugsweise im Süden zu Hause. In Bezug auf Verstand ist aber der Norddeutsche dem Süddeutschen weit voraus. Er ist wie des kindlicheren Süddeutschen älterer Bruder, daher aucb in dieser Zeit der Herrschaft des Verstandes ihm in vielfacher Hinsicht überlegen geworden, und so ist auch dorthin jetzt das Uebergewicht der deut- scheu Macht gefallen. Ueberhaupt scheint der Norden der Intelligenz günsti- ger zu sein, als der Süden. Das nördliche Frankreich, das nördliche Deutsch- land und Oberitalien haben im Gegensatze zum Süden dieser Länder eine größere Belesenheit, Wissenschaftlichkeit und eine bessere Schulbildung. Dazu tragen die klimatischen Verhältnisse nicht wenig bei. Die langen nörd- lichen Winterabende, das zusammengehaltene häusliche und Familienleben, die geringere Zerstreutheit der Menschen in Straßen, Feld und Natur be-
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