1. Bd. 1
- S. 457
1874 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
145. Die Völkerschaften in Oesterreich-Ungarn.
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143. Die Völkerschaften in Oesterreich-llngarn.
(Nach Freiherrn v. Czoernig in den Abhandlungen der Wiener Akademie, und
Franz v. Löher, Die Magyaren und andere Ungarn, bearbeitet vom Herausgeber.)
Die Deutschen wohnen compact in den Alpenländern und an den
nördlichen Grenzgebirgen, durchdringen aber theils mit fest begründeten Co-
louieen, theils mit isolirten Ansiedelungen unter anderen Volksstämmen das
gesammte Staatsgebiet nördlich von den Alpen und erstrecken sich im Süden
bis zum Adriatischen Meere, so daß man fast im ganzen Umfange des Rei-
ches die deutsche Sprache, von Deutschen geredet, vernimmt. Noch weiter
aber reicht die Macht und Wirkung der deutschen Sprache. Denn bis vor
Kurzem (bis 1867), so lange man die Erbstaaten des Hauses Habsburg für
ein untrennbares Ganzes hielt, ward das gesammte Staatswesen Oesterreichs
vorzugsweise durch Deutsche geleitet; die deutsche Sprache war die des
Heeres, die der Verwaltung, die der höhern Stände und überhaupt die der
geselligen Bildung, vorzugsweise auch die Sprache der Pflege der Wissen-
schaft und Kunst, so wie des höhern Unterrichts, der Gewerbe und des
Handels und aller Anstalten für den Verkehr überhaupt. Der Deutsche be-
währt sich auch in Oesterreich als ganz besonders zur Colonisirung befähigt;
seine Leichtigkeit eine fremde Sprache zu erlernen und sich fremden Eigen-
thümlichkeiten anzuschmiegen, macht ihn zum vorzüglichen Pionier der Cultur.
Die Deutschen in Oesterreich gehören der überwiegenden Zahl nach den
Ober-Deutschen Stämmen an und theilen deren Eigenschaften. Im Contacte
mit anderen Nationalitäten zeigen sie die geringste Widerstandsfähigkeit, na-
mentlich vermischen sie sich leicht mit den Magyaren, deren Adel und deren
Städte viel deutsches Blut in sich aufgenommen haben; sie nehmen leicht
fremde Sitte und Kleidung, zuletzt auch fremde Sprache an, ohne jedoch ihre
übrigen deutschen Eigentümlichkeiten zu verlieren, und nur der stete Zuzug
von Stammgenossen bewirkt es, daß sie die Ausdehnung ihrer Wohnsitze
erhalten. Dagegen zeichnen sich die Nieder-Deutschen Sachsen in Sieben-
bürgen durch ihre Zähigkeit im Festhalten am Hergebrachten aus; dadurch
vermochten sie sich in ihrer Jsolirtheit zu erhalten.
Der Magyarische Volksstamm nimmt die beiden großen Ebenen an
der mittlem Donau ein, und sein Gebiet erstreckt sich gerade so weit, als
sich die einförmige, flache Landschaft ausdehnt, bis an den Fuß des Gebirges,
welches die compacten Wohnsitze der Magyaren im weiten Bogen umzieht.
Dieser Stamm hatte die uralten Freiheits-Jnstitutionen errichtet. Sie allein
bildeten jenseit der Leitha eine feste, rührige, politisch geschulte Masse von
mehr als 5 Millionen, waren daher seit Jahrhunderten das vorherrschende
Volk in Ungarn, oder vielmehr ihr Adel war es. Dieser Adel, kühn und
entschlossen, offen und gerade, voll Mannesstolz und Festigkeit, kämpfte fast