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1. Bd. 1 - S. 463

1874 - Köln : DuMont-Schauberg
146. Wien. 463 Wie die Decoration des äußern Schauplatzes, so erfuhr auch das sociale Leben der alten Kaiserstadt seit einem Decennium eine merkliche Verände- rung. Während auf der Ringstraße und in der „Nobelallee" des Praters eine rasch emporgekommene Geldaristokratie einen immer wachsenden Auf- wand entfaltet, mit welchem der wirkliche Adel nur noch in seltenen Fällen wetteifern kann, vermehrt sich in den schmutzigen Gassen abseits der Stadt das Proletariat in erschreckender Weise und damit zugleich die Zahl der Verbrechen, Selbstmorde und Familienkatastrophen, welche in der Regel durch bittere Noth und Verzweiflung hervorgerufen werden. Die socialen Gegen- sätze spitzen sich immer mehr zu: die Etablissements der Großindustriellen werden immer Zahlreicher und großartiger, während die Werkstätten der klei- nen Gewerbsleute immer mehr abnehmen an Zahl und Umfang. Dieser Geist des Zeitalters der Industrie, der Börse und der Association hat auch dem neuen Wien einen veränderten Charakter aufgedrückt, jedoch Vorzugs- weife den fremden Elementen der Bevölkerung, die aus den Provinzen und dem Auslande herbeigeströmt sind und jetzt mindestens die Hälfte der Ge- fammtbevölkerung ausmachen. Dagegen hat sich bei der eingeborenen Be- völkerung, namentlich bei den mittleren Ständen, der traditionelle Charakter des alten Wien, in welchem Gutmüthigkeit, Behäbigkeit und Genußsucht die hervorstechendsten Züge sind, noch immer erhalten. Unter den (79) Kirchen Wiens ragen vorzugsweise hervor: der Ste- phansdom im gothischen Stile, mit einem der höchsten Thürme (141 M.); die frei auf einer Anhöhe liegende und mit der Front der Stadt zugekehrte Karlskirche, die schönste aus der Renaissance-Zeit; die Augustiner- oder Hofpfarrkirche mit Canova's Grabdenkmal der Erzherzogin Maria Christina (-j- 1793), vom Herzog Albert von Sachfen-Tefchen seiner Gemahlin errich- tet; die Kapuzinerkirche mit der kaiserlichen Gruft, in welcher Maria Theresia und ihr Gemahl Franz I., Joseph Ii., Marie Louise (Wittwe Na- poleon's) und ihr Sohn (Herzog von Reichstadt), Kaiser Maximilian von Mexico u. s. w. ruhen. Der in ästhetischer Hinsicht bedeutendste Neubau in Oesterreich ist die im Aeußern bereits vollendete Votivkirche in rein gothischem Stile zur Erinnerung an die glückliche Rettung des Kaisers aus den Gefahren des gegen ihn gerichteten Attentates (1853). Auch der ifrae- litifche Tempel oder die Synagoge im byzantinischen Stil mit einer sehr esfectreichen Vorhalle ist ein geschmackvoller Neubau. Unter den (weltlichen) öffentlichen Gebäuden darf die fog. Burg oder der von der kaiserlichen Familie bewohnte Palast vielleicht am wenig- sten auf architektonische Schönheit Anspruch machen, denn es ist ein in ver- schiedenen Zeiten entstandener Complex von Gebäuden sehr verschiedenen Geschmacks und ohne harmonischen Zusammenhang, in welchem sich auch verschiedene wissenschaftliche Sammlungen (s. unten) und die reiche Schatz- kammer mit zahlreichen historisch-merkwürdigen Gegenständen befinden. Da-
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