1. Bd. 1
- S. 480
1874 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Iii. Länder- und Völkerkunde. A. Europa.
153. Krakau.
(Nach I. G. Kohl, Reisen im Innern von Rußland und Polen.)
Im ganzen Polenlande ist keine Stadtansicht zu finden, die der von
Krakau gleichkommt. Das Weichselthal scheint hier einen großen, flach
vertieften Kessel zu bilden, in dessen Mitte die Stadt mit ihren zahlreichen
Kirchen und Thürmen, mit ihrem auf einem mächtigen Felsen gegründeten
Schlosse, mit ihren Palästen und Hütten thront, von Gärten, wohlangebauten
Feldern, Landhäusern und Klöstern in bunter Fülle rings umgeben. Nach
Norden bekränzen niedrige, bewaldete Hügel den entfernten Horizont, nach
Süden aber umstellen ihn die höchsten Spitzen der westlichen Karpathen, die
hier aus einer Entfernung von 10 Meilen besser sichtbar sind, als von ir-
gend einem andern Punkte Galiziens, dessen hohes, hinderliches Plateau
in diesen Gegenden verschwunden ist.
In früheren Zeiten war Krakau nicht nur der Krönungs- und Be-
gräbnißplatz der polnischen Könige, sondern auch ihre Residenz. Später erst,
als der Staat sich nach Osten ausdehnte, ward dies Warschau, und Krakau
kam zu dieser seiner jüngern Schwester in ein ähnliches Verhältniß, wie
Moskau zu Petersburg, wie Toledo zu Madrid und wie viele andere alte
Königsgräberstädte zu ihren neuen Residenzschwestern. Nach der zweiten
und dritten Theilung Polens und nach den vergeblichen Anstrengungen, die
auch Krakau zu ihrer Abwendung machte, sank die • Stadt zum Minimum
ihrer Lebenskraft herab, und man zählte am Ende des vorigen und am
Anfange dieses Jahrhunderts nur 16,000 Einwohner. Die Ruhe, welche in
Polen bis 1830 herrschte, sammelte auch hier wieder die Menschen etwas
mehr an, und jetzt zählt sie über 40,000 Einwohner.
In Bezug auf seine geographische Lage ist Krakau die Eapitale des
obern Gebiets der Weichsel, wo Ungarn,-Schlesien, Galizien und Polen
einen natürlichen Austauscheplatz für ihre Waaren finden. Ungarische Weine
und schlesische Manusacturwaaren, Wieliczka'sches Salz und galizischer Honig
und Wachs gehen von Krakau ab die Weichsel hinab. Eben so zieht sich
ein bedeutender Handel mit Specereien und anderen levantischen Waaren
von Trieft aus über Krakau nach Warschau.
Der sog. „Ring", einer der malerischsten Marktplätze, erinnert — wenn
das Meer nur nicht fehlte — an den Marcusplatz von Venedig. Er ist mit
schönen, neuen und interessanten alten Gebäuden besetzt. In der Mitte steht
die in gothischem Stile gebaute „Ssukonniza" (Tuchhalle), früher „Wolniza"
(Freihalle) genannt; hier wurden jdie Könige von Polen bis zu denen aus
dem sächsischen Hause durch die Adelsversammlung gewählt. Nachher haben
die Tuchhändler ihren Kram hier ausgestellt. Jetzt findet sich auch von
diesen keine Spur mehr, vielmehr sind alle Gewölbe mit Material- und