1. Bd. 1
- S. 488
1874 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Tit. Länder- und Völkerkunde. A. Europa.
In der Bukowina, wie in der Moldau, arbeitet der Bauer nach dem
alten „Ghika'fchen Ehryfon" (Gesetzbuche) des Jahres zwölf Tage seinem
Herrn. Die Familien und Familiennamen dieser Herren sind in der Buko-
wina ganz dieselben wie in der Moldau und Walachei, alte walachische
Familien, die von uralten Zeiten her, und griechische, die seit dem byzanti-
nischen und türkischen Kaiserthume im Besitze der Güter sein mögen. Die
Familien sind von früheren Zeiten her gräcisirt, und der Adel verkehrt unter
sich mittelst der griechischen Sprache. Durch von Wien ausgehende Einflüsse
fangen sie jetzt an, sich zu germanisiren, sie lernen Deutsch und Französisch,
nennen sich Barone und Grafen und kleiden sich fast ohne Ausnahme
deutsch. Viele von ihnen sind in der Moldau, Bessarabien und der Buko-
wina ansässig und somit drei Kaisern zugleich unterthan, eben so wie auch
manche polnische Große ihre Besitzungen unter drei verschiedenen Sceptern
haben.
Charakteristisch für die geographische Lage des Ländchens ist es, daß
sein jetziger Name Bukowina, welches so viel als Buchenland oder Bu-
chenwald bedeutet, aus den Kämpfen der Polen mit den Moldauern hervor-
ging. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts schlug Stephan der Große, Fürst
von der Moldau, zwischen dem Pruth und dem Dniestr die Polen, eroberte
ihr Lager, erlegte die meisten und machte über 20,000, die meistentheils
Edellente waren, zu Gefangenen. Als ihm nachher der König Albrecht von
Polen für die Auslösung derselben eine große Summe Geldes anbot, schlug
Stephan dieselbe aus, weil er sich ein solches Siegeszeichen errichten wollte,
welches seine Triumphe auch noch in den künftigen Jahrhunderten verkünden
sollte. Zu dem Ende spannte er alle 20,000 Polaken, Gemeine und Edel-
leute, an den Pflug und ließ das ganze Schlachtfeld umpflügen und mit
Buchensamen besäen. Dieser Samen wuchs dann zu weitläufigen und
schönen Wäldern auf, welche die Polaken nun „Bukowina" nennen, indem
sie niemals ohne Thränen von jenem Orte Meldung thun. Noch jetzt zeu-
gen zahlreiche Gräber, Ueberreste von Schanzen und Circumvallationen von
den vielen Kämpfen, die auf diesen ebenen Grenzfeldern die Türken, Polen,
Ungarn, Moldauer, Russen und Tataren von jeher sich unter einander
lieferten.
Ein Theil der Bukowina, etwa 31 Ortschaften jenfeit des Pruth um-
faffend, ist russisch geworden, das ganze Uebrige aber seit 1775 österreichisch.
Das Land hat unter seiner jetzigen Regierung außerordentlich gewonnen
und zählt jetzt über 7a Mill. Einwohner (gegen 120,000 im I. 1788), von
denen die größere Hälfte Slaven, die kleinere Walachen oder Dako-Romanen
sind. Diese außerordentliche Vermehrung der Bevölkerung mag zum Theil
durch Einwanderung von Deutschen, welche sich in den Städten als Bürger,
Kaufleute und Handwerker niederließen, und von Rusniaken, welche als
tüchtigere Arbeiter den eingeborenen Moldauern vorgezogen werden, bewirk/