1. Bd. 1
- S. 597
1874 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
196. Die Holländer.
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zeiiwuchs nährt reichliches Thierleben, und wo dies beides, finden auch die
Menschen eine gute Stätte. Sie gedeihen in dieser Fülle, werden gemächlich,
ja etwas schwerfällig. Aber ihr Verstand wird geweckt und geschärst, weil
sie Schiffe bauen und lernen müssen, sie in Wind und Wellen leicht zu
bewegen. Denn Waaren kommen die Flüsse herab, Waaren werden von
der See aus gelandet; diese weiter zu schaffen, bedarf es guter Segler und
kundiger Lootsen. Auch die Scharen von fetten Fischen, welche die Fluß-
Mündungen besuchen, sind eine unaufhörliche Lockung, Tag und Nacht auf
den Fang auszugehen. So werden hier die Menschen eben so heimisch auf
dem Wasser, wie sie vertraut sind mit Luft und Erde.
Aber noch in anderer Weise drängte sich jenes Element in ihr täg-
liches Sinnen und Denken hinein, drohend und schrecklich, aber Geist und
Arme stählend und bildend, wie jeder siegreiche Kamps des Menschen mit
der Natur. Das Volk mußte seine ganze Kraft und seinen Verstand auf-
bieten, um nur zu bestehen und sein von Sturmfluten zerrissenes Land zu
schützen vor den wüsten Wogen durch Dämme und Deiche, so wie durch ab-
leitende Canäle, ja um durch kluges Eindeichen ein Stückchen Land nach
dem andern dem Meere wieder abzuzwingen. Wenn die Männer auf den
selbst geschaffenen festen Wällen standen und sahen, wie der Sturm die
dunkeln Wogen haushoch daher jagte, daß sie vergebens anbrandeten und
ausspritzten, und wie dahinter in sicherm Frieden das Haus stand und die
Gärten und Wiesen grünten, so füllte sich ihre Brust mit kühnem Muthe und
ruhigem Selbstvertrauen.
Beginnend auf den äußersten Meerinseln und Auen, wo Friesen (f. S. 381),
Brabanter und Flandrer zusammenstießen, entwickelte sich im Laufe der Zeiten
ein besonderer Stamm von Leuten, der seine Herrschaft und seinen Namen
über die ganze nördliche Hälfte der Niederlande ausdehnte — die Hollän-
der. Ihre historische Bedeutung erklärt sich aus der Natur und dem Cha-
rakter des Volkes, so wie aus der ungemein glücklichen Lage ihres Landes.
Es war ein Stromland, das Herz der Niederlande, welchem die Flüsse zu-
strömten und sich mit großen und kleinen Armen in einander verketteten, ehe
sie ihre mächtigen Gewässer mit dem Meere vermischten. Mit den Flüssen
kamen fort und fort Volkstheile aus dem Innern, das Meer zu schauen
und sich in seiner Nähe anzusiedeln. Am bekanntesten wurden zuerst diejeni-
gen, welche hier den Namen Bataver erhielten von ihrem Wohnsitze, der
Bataue, d. h. der guten, fruchtbaren Aue zwischen den Rheinarmen. Nach
ihnen kamen die Franken und wahrscheinlich schon früh mit diesen Sachsen
und besonders Friesen, deren Züge sich bald verstärkten. Nichts aber
frischt so sehr und immer von Neuem den Unternehmungsgeist an, als solche
Volksmischung; mit jedem Zuge kommen neue Ideen, neue Pläne. Vor
allen haben Seestädte die Bürgschaft Langjähriger Dauer, wenn sie aus den
obern Landen einen, wenn auch unmerklichen, doch unaufhörlichen Zufluß