1. Bd. 2
- S. 214
1875 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
214 Iii. Länder- und Völkerkunde. B. Asien.
nenlande und den nördlichen Kreisen Schantung und Petschili im Zeiträume
eines Vierteliahrhunderts von einer Stadt dritten Ranges zu einem der
wichtigsten Stapelplätze des chinesischen Reiches emporgeschwungen. Die
ganze Schissfahrt auf dem Wusungflusse, so wie jene des 1000 englische Mei-
len für Dampfschiffe fahrbaren Yang-tse-kiang, des Mississippi Ost-Asiens, con-
centrirt sich in Shanghai, welches in dieser Beziehung viel Ähnlichkeit mit
Neu-Orleans in Louisiana hat.
Die alte, von hohen Wällen eingeschlossene, nur an drei Stellen
zugängliche Chinesenstadt hat sehr enge, außerordentlich schmutzige
Gassen, die zuweilen kaum so breit sind, daß zwei Menschen bequem einan-
der ausweichen können, daher erinnern sie an die schmalen Gäßchen Venedigs
oder die häßlichen „Lanes" in London. Nur mit Muhe vermögen in diesem
Gedränge die vielen Lastträger durch beständiges Schreien und Stoßen sich
Bahn zu brechen. Die 1—2 Stock hohen Häuser haben im Erdgeschoß
größtenteils Verkaufsläden mit riesigen Aufschriften und Aushängeschildern,
welche, um die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden noch mehr zu fesseln,
häufig quer über der Gasse angebracht sind.
Weit bequemer und eleganter als die Chinesenstadt sind die an der
Nordseite gelegenen Fremden-Viertel, wo europäische und Nordamerika-
nische Kaufleute ihre Wohnungen und Magazine nach europäischem Zuschnitt
haben. Das europäische Viertel zerfällt wieder in eine englische und
eine französische Niederlassung; die deutschen Kaufleute (Vorzugs-
weise aus Bremen und Hamburg), welche hier durch mehrere angesehene
Firmen vertreten sind, haben es noch nicht zu einer besondern Niederlassung
gebracht.
Der für die Industrie und den Handel Europa's wichtigste Ausfuhr-
Artikel Chinas ist Seide. Die weit ausgedehnten Wälder von Maulbeer-
bäumen ernähren eine solche Menge Seidenraupen, daß die Gegenden, in
welchen dieser Culturzweig gepflegt wird — und dies sind alle Provinzen
China's außer den nördlichen — nicht nur ganz China mit trefflicher Seide
versehen, sondern auch noch eine bedeutende Menge nach fremden Ländern,
besonders nach England, ausführen. Die Seide wird in China nicht durch
großartige Etablissements und bedeutende Grundbesitzer gewonnen, sondern,
ähnlich wie in der Lombardei, durch unzählige kleine Landwirthe. Die großen
Kaufleute der Hauptstädte senden zur Zeit der Ernte eigene Agenten nach
allen Theilen des Landes, um diese kleinen Quantitäten, die natürlich auch
von verschiedenen Qualitäten sind, zusammen zu kaufen und nach gewissen
Lagerplätzen abzuliefern, wo dieselben nach ihrer Güte sortirt werden. Schiff-
bare Flüsse und Canäle machen den Verkehr dieser Lagerplätze mit dem See-
Hafen Shanghai ungemein leicht und billig und erheben denselben zu einem
Centralpunkte für den Seidenhandel.
Der zweite Hauptgegenstand der Ausfuhr ist der Thee, der als Ge-