1. Bd. 2
- S. 311
1875 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
314. Das östliche Iran oder Afghanistan, Beludschistan u. Kabulistan. 311
vermochte die natürliche Beschaffenheit dieser Länder, den angeborenen Hang
unbedingten Besehlens und sinnloser Ungebundenheit ihrer Bewohner zu
besiegen. Afghanistan war von jeher und ist heutzutage noch das Land
wilder Verwirrung, wo halbnackte, nach Raub und Mord dürstende Nomaden
herumschweisen, wo Clanhäuptlinge und kleine Tyrannen aus Blutrache und
Herrschsucht sich gegenseitig verfolgen.
Im Süden Afghanistans bis zum Meere erstreckt sich das dürre, steinige
und sandige Land der Beludschen. Die Berge Beludschistans sind steil
und kahl: um ihre südwestliche Abdachung lagern sich aber einige Alpengaue
mit fruchtbaren Thälern, welche eines gesunden Klima's und, gleichwie
innerhalb der gemäßigten Himmelsstriche, einer regelmäßigen Folge der vier
Jahreszeiten sich erfreuen. Das östliche Beludschistan ist größtentheils eine
unfruchtbare Sandwüste ohne die geringste Vegetation, ohne Quellen und
Flüsse, eine traurige Aufeinanderfolge gähnender Klüfte, nackter Anhöhen
und wellenförmiger Sandhügel. Diese unwirthlichen Gegenden erfreuen
sich jedoch einer gemäßigten Temperatur. Die Glut der Sonnenstrahlen
wird durch die den größten Theil des Jahres hindurch herrschenden Stürme
gemildert. Die Stürme aber rasen mit solcher Gewalt, daß man zweifeln
kann, ob die Wohlthat nicht durch das von ihnen angerichtete Unheil über-
wogen wird. Beludschistan ist demnach, wie Afghanistan, durch seine Natur
zu zahlreichen Clanherrschaften bestimmt. Während ringsum, im Osten wie
im Westen, die Stämme zu Völkern zusammenwuchsen, verblieben die Be-
wohner dieser Länder, wie aus denselben Ursachen die Völklein zwischen dem
Schwarzen und Caspischen Meere, in den ursprünglichen Wirren der
Stamm-Regierungen bis auf den heutigen Tag verfangen: sie waren und
sind deßhalb ein Spielball der benachbarten Staaten, und wurden, wenn
auch gewöhnlich nur auf kurze Zeit, immerdar die Beute eines jeden fremden
Eroberers. An Much, Mannheit und Kraft fehlt es ihnen keineswegs; denn
Leute, welche in einer bergigen und hohen, an Wasser armen Gegend leben und
starke Abwechselung der Jahreszeiten erleiden, sind, wie schon Hippokrates
bemerkt, große, arbeitsame und tapfere Menschen. Afghanistan ward aber
deshalb so leicht vom Feinde überzogen, weil das Volk einer bindenden
Gewalt ermangelt, und das innere Land nicht, wie der Kaukasus, durch
Querthäler und unermeßliche Klüfte versperrt ist, sondern allenthalben einen
freien Eintritt gestattet zu den von üppigem Graswuchs bedeckten und von
herrlichen Fruchtbäumen beschatteten Haupt- und Nebenthälern. Nur durch
kurze Strecken geschieden, gedeihen hier die Früchte des Südens und des
Nordens nebeneinander.
Sind auch die Länder Afghanistans und Beludschistans in vielen ihrer
Gaue mit mannichfachen Producten zum eigenen Bedarf gesegnet, so bieten
sie doch wenig natürliche oder künstliche Erzeugnisse dar zum Austausche
für fremde Waare. Dagegen zogen sich theils über Peschawer und Kabul,