1. Bd. 2
- S. 361
1875 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
334. Der Libanon.
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Meer. Schon das hohe Lied (4, 15) spricht vom Born lebendiger Wasser,
die vom Libanon fließen.
Von der Küste des Mittelmeeres, von der tiefsten Schlucht bis oben
an den nie schmelzenden ewigen Schnee, ist jeder Schuh Landes am Libanon
möglichst benutzt. Gemauerte Terrassen steigen wie Stufen eines Amphi- ;
theaters empor, reich mit Maulbeerbäumen bepflanzt zur Pflege der Seiden- Jj
Würmer, von deren Zucht die Einwohner fast einzig leben. Ein Wald voll
Nachtigallen und anderer Vögel bedeckt das Gebirge. Silberpappeln, Pla-
tanen, lombardische Pappeln, Eichen und Acazien, ja, selbst die dürren Fels-
blöcke sind von Reben umrankt, deren Wein schon Hosea erwähnt. Nahe
dem höchsten Rücken des Gebirgs, unweit der Straße von Baalbeck nach
Tripoli, ist der altberühmte Cedernwald. Dieser besteht aus 300 bis 400
Stämmen, theils den Resten eines Waldes, der wahrscheinlich einst das ganze
Thal erfüllte, theils den jüngsten Nachkommen der greisen Eltern, die in
ihrer Mitte stehen. Daß die ältesten dieser Stämme ein paar Jahrtausende
zählen, ist nicht unwahrscheinlich, besonders wenn man ihre Größe, ihre Dicke,
den steinigen Boden, auf dem, und die hohe, windige Lage, in der sie
gedeihen, berücksichtigt. Schön sind diese Nestore der Planzenwelt eben
nicht, aber ehrwürdig in hohem Grade. Man sieht in den Wäldern am
Taurus viele geradere und überhaupt schönere Eedern, während die am
Libanon ein mehr krüppelhaftes Aussehen haben. Die Höhe dieser alten
Cedern des Libanon ist nicht bedeutend (16 Meter). Die alten Bäume,
deren Stämme kaum mehr aus etwas Anderem als aus der bloßen Rinde
bestanden, grünen nicht nur recht frisch und üppig, sondern prangen auch in
voller Blüte, ein wahrhaft schönes Bild eines jugendlichen Greises, und ein
Beweis, daß sie vielleicht noch manches Jahrhundert durchleben können, bevor
sie der Zeit zum Opfer fallen.
Das herrschende Gestein des Libanon ist Jura-Kalkstein; zunächst finden
sich zur Kreideformation gehörige und jüngere tertiäre Bildungen, welche auf
1000 Meter Höhe Fifch-Versteinerungen enthalten. Aus Jura-Kalkstein ist
der große Sonnentempel von Baalbeck erbaut. Auch Salomo nahm vom
Libanon die Steine zum Tempel Jerusalems. Der nördliche District (Kes-
ruan) ist vornehmlich von Christen, den Maroniten, bewohnt, der südliche
von Christen und Drusen; letztere sind Herren des ganzen Gebirgs. Im
Kloster Kanobw (coenobium), das, unfern der Cedern an ein tiefes, steiles
Felsthal angebaut, wie in der Luft schwebt, wohnt seit 200 Jahren der
Maroniten-Patriarch; in Deir el Kamar der Emir der unheimlichen Drusen,
welche sich gegenseitig theils an einem bestimmten Händedruck, theils an einer
bestimmten Begrüßungsformel erkennen sollen und von ihrer Religion an
Andersgläubige nichts verrathen dürfen, von der übrigens auch nur die
Eingeweihten etwas wissen. Hat man den höchsten Kamm des Libanon ■
erstiegen, so blickt man gegen Osten in das Thal Bekaa hinab, in das alte