1. Bd. 2
- S. 484
1875 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Iii. Länder- und Völkerkunde. D. Amerika.
der als in den großen Becken, das erstere meist ebenso erhaben als lieblich,
den dichterisch-künstlerischen Sinn anregend und das Gefühlsleben und die
Einbildungskraft auf Kosten des Verstandes und Willens ausbildend. Daher
das merkwürdige Schauspiel einer höheren Geistesbildung in tiefster Abgeschie-
denheit von Schisfsahrt, Handel und Völkerverkehr, überhaupt einer hohen
Kulturstufe Mexico's, Eentral-Amerika's und Peru's, welche die Spanier
vorfanden. Die Notwendigkeit, alle diese Güter gegen die Habgier kriege-
rischer Nachbarstämme vertheidigen zu müssen, vor welchen die hohen Ge-
birge und Wüsten und Meer, welche das Land umgeben, nicht völlig schützten,
nöthigte die Ureinwohner der kleineren Becken Mittel- und Südamerikas
frühzeitig zum Bau fester Städte, zur Anlegung von Straßen und Brücken
und zur Bildung staatlicher Genossenschaften, und zwar zur Monarchie mit
stehenden Heeren und mit einer Landesreligion, und wahrscheinlich auch zum
Entstehen von Kasten. Damit entsprangen bildende Kunst, Industrie und
Handwerke.
Alle ersten Ansiedelungen fanden auf der atlantischen Küstenabdachung
Statt, dem einzigen Gebiete Nordamerika's, das durch eine größere Mannich-
faltigkeit der Bodenoberfläche, des Klima's und der Erzeugnisse dem Auf-
blühen höherer Civilisation noch einigermaßen förderlich ist. Nur hier konnte
sich eine neue Fortfchritts-Nation bilden: es war das der einzige dazu
geeignete Boden in der neuen Welt. Das Klima ist gesund, der Boden
nicht unfruchtbar und zu Ackerbau, Viehzucht, Gewerbfleiß, Schifffahrt,
Fischfang und Handel gleich sehr geeignet. Außerdem acclimatisirt der
Europäer sich hier leicht, die zu keiner Zeit ganz stockende Einwanderung
aus Europa wurde also nicht durch schwere Acclimatisations-Krankheiten
gelichtet. Somit mußte die Bevölkerung rasch zu einer hinlänglichen Dich-
tigkeit anwachsen und zu stetem raschen Fortschritt in der Civilisation gedrängt
werden; die Tochterländer blieben durch Handel mit den hochgebildeten
Mutterländern im Zusammenhang, und deren Literatur und wissenschaftlicher
Fortschritt kamen den Eolonieen zu Gute.
Die Hindernisse der höheren Eultur sind aber in der neuen Welt
größer als in der alten. Der Körper hat mit klimatischen und Boden-
einslüssen zu kämpfen, welche den Geist mächtiger herabziehen oder einseitig
werden lassen, und es gehört mehr geistige Tüchtigkeit dazu als in Europa,
um sich in Amerika zu einem harmonisch entwickelten Menschen auszubilden
und auf der errungenen Eulturstufe zu erhalten.