1. Bd. 2
- S. 493
1875 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
375. Die Eskimos. 493
die des einsitzigen Bootes — des Kayaks oder der Baidare. Ein
leichtes hölzernes, langes und schmales Gerippe ist, bis auf eine Oeffnung
in der Mitte, mit Seehundsfellen wasserdicht bekleidet. Der Mann sitzt mit
ausgestreckten Füßen darin und ragt mit dem Körper aus der Oeffnung
hervor. Sein leichtes Ruder in der Hand, seine Waffen vor sich, das Gleich-
gewicht wie ein Kunstreiter haltend, fliegt er pfeilschnell über die bewegliche
Wasserfläche dahin, und sollte eine Welle ihn umwerfen, so weiß er mit
seinem Nuder sich leicht wieder in die Höhe zu heben. Die große Baidare
oder das Frauenboot besteht ebenfalls aus einem mit Robbenfellen überzo-
genen Gerippe, ist aber so geräumig, daß es an 50 Personen fassen kann.
Der Mast trägt ein dreieckiges Segel, aus den Darmhäuten von Seehunden
verfertigt. Der Mann würde es unter seiner Würde halten, in einem solchen
schweren Familienboot zu rudern; er überläßt diese Arbeit ausschließlich den
Frauen, die nach dem Tact eines monotonen Gesanges, den Oomiak — so
heißt das Fahrzeug — durch die Fluten forttreiben. Die Eskimos zwischen
dem Mackenzie- und dem Coppermine-Fluß wurden daher zu dem sonder-
baren Jrrthum verleitet, die englischen Matrosen, welche sie gemeinschaftlich
rudern sahen, für Weiber zu halten. Einer von ihnen fragte sogar, ob alle
weißen Frauen Bärte hätten?
Auch die Waffen der Eskimos so wie die Geräthschasten, die ihnen
zur Jagd und zum Fischen dienen, zeigen eine große Kunstfertigkeit. Die
Ruder sind geschmackvoll mit Walroßzähnen ausgelegt, die Speere sauber
geschnitzt, der mit Darmsaiten umwundene elastische Bogen schnellt den wohl
2 Meter langen Pfeil mit mörderischer Sicherheit zum weit entfernten Ziel.
Zur Erlegung größerer Thiere ist letzterer mit einem scharfen Feuerstein oder
einem zugespitzten Knochen versehen, abgestumpft und kleiner hingegen, wenn
er den flüchtigen Vogel tödten soll.
Jahr aus, Jahr ein wiederholt sich bei den Eentral-Eskimos derselbe
einförmige Lebenskreis. So wie im Mai oder Juni die Flüsse sich von
ihrer Eisdecke befreien, begeben sie sich zu den Wasserfällen, wo sie ihre
Sommerzelte aufrichten und den stromaufwärts schwimmenden Fischlegionen
mit ihren Speeren nachsetzen. Um dieselbe Zeit oder früher noch in mehr
südlichen Gegenden verfolgen sie das Rennthier, welches die Küsten und
Inseln aussucht, um sein Junges zu werfen, noch ehe der Schnee vollständig
geschmolzen ist. Wo das offene Land keinen besondern Schutz gewährt,
um sich dem Wilde zu nahen, werden tiefe Gruben in den schneereichen
Schluchten gegraben und oberflächlich mit Schnee zugedeckt. Der nächste
Wind verwischt die Spuren der Menschenhand. Das sorglose Rennthier
wandert, ohne Böses zu ahnen, über die krystallene Fläche dahin — plötzlich
aber versinkt der verräterische Boden unter seinen Füßen — und aus dem
engen Kerker, in welchen sein Unstern es führte, gibt es keinen Ausweg,
als den Tod. Anfangs September versammeln sich die Rennthiere in