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1. Theil 1 - S. 486

1876 - Langensalza : Greßler
486 Wer zum Ackerbau brauchbar ist, wird nie Schneider werden; deß- halb sind auch die meisten Schneider lahm oder verwachsen, oder sonst mit einem körperlichen Gebrechen behaftet. Er hat selten einen festen Wohnsitz, sondern führt ein Nomadenleben; heute ist er auf dem Bauerhose, morgen auf einem andern. Verheirathete Schneider gehören zu den großen Seltenheiten; allein überall weiß er sich zum Liebling der jungen Mädchen zu machen. Er besorgt für sie Alles, bringt ihnen die neuesten Neuigkeiten und ist mit einem Wort zu Allem zu gebrauchen. Die Männer verachten ihn wegen des weibischen Handwerks, welches er betreibt; er ißt auch mit ihnen nicht an einem Tische, sondern, wenn diese gegessen haben, mit den Frauen an einem besonderen Tische. In andern Orten ist nicht der Schneider der Freiwerber, son- dern die beiden ältesten Bettler der Umgegend werden hierzu auserwählt. — Der Schneider und die Bettler beobachten bei der Brautwerbung ein ganz verschiedenes Verfahren. Der Schnei- der fängt mit dem jungen Mädchen, die Bettler fangen mit dem Hausherrn an. Wenn der Schneider von einem jungen Manne den Auftrag erhalten hat »für ihn zu sprechen«, so begiebt er sich nach dem Hofe, wo das junge Mädchen wohnt und sucht diese ohne Zeugen zu sprechen. Sieht er auf dem Wege dorthin eine Elster, so kehrt er sofort wieder um, denn dies ist ein Zeichen, daß eine Ehe, die an diesem Tage verabredet, eine unglückliche werden würde. Sein Zusammentreffen mit dem jungen Mädchen muß immer als ein rein zufälliges erscheinen. Er spricht mit ihr zuerst von dem Wetter, dem Vieh, der bevorstehenden Kirmeß u. s. w. und kommt zuletzt auf den jungen Mann zu sprechen. Er lobt seine Häuslichkeit, seine große Körperkraft, seinen Muth, sein hübsches Aeußere u. s. w. t^anz beiläufig rühmt er auch seinen Reichthum und daß er man- chen Kosfer voll Leinwand habe. Das junge Mädchen hört ihn ruhig an, und wenn sie geneigt ist, auf den Antrag einzugehen, so sagt sie: »Sprecht mit meinen Eltern!« und läuft dann schnell fort. Will sie nicht, so sagt sie: »Der Flachs zu meinem Braut- Hemde ist noch nicht gesäet.« Hierauf bleibt sie stehen und der Freiwerber geht fort. Hat das junge Mädchen ihre Zustimmung erklärt, so theilt sie die Bewerbung ihrem Vater mit. Wenn dieser gegen die Verbin- dung nichts einzuwenden hat, so wird dem Schneider davon Nach- richt gegeben. Dieser erscheint dann nach einigen Tagen mit einer Ginsterruthe in der Hand und bekleidet mit einem rothen^ und einem violetten Strumpfe, mit dem Bräutigam und dessen Vater, oder wenn dieser todt ist, mit dessen nächstem Verwandten auf dem Hofe, um »sein Wort anzubringen.«
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