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1. Bd. 2 - S. 2

1886 - Langensalza : Greßler
2 ihrem geistigen Schlaf aufzurütteln und neues Leben in ihnen anzu- fachen. Freilich, zur Höhe des europäischen Lebens wird sich Asien nimmer emporschwingen, denn himmelhohe Berge, weite ungeheure Steppen und Sandwüsten, unfruchtbare Hochflächen trennen hier dw Menschen weit mehr als in Europa, wo die Nationen mehr und mehr zu einer großen Völkerfamilie zusammenschmelzen. Die Hochflächen der Tartarei und Mongolei werden immer von Nomandenhorden durch- zogen werden, und das sibirische Tiefland, allein schon so groß als ganz Europa, ist nur in seiner Südzone kulturfähig, und der nördliche Teil leidet unter der strengen Kälte des langen Winters. Hinwieder nimmt das Wunderland Indien, das asiatische Italien, durch die Pracht und Üppigkeit seiner Natur die Sinne gefangen und versenkt den Geist in ein träumerisches Stillleben, während die reiche Inselwelt von Cey- lon, Java, Sumatra, Borneo und den Gewürzinseln unter bcn Gluten der heißesten Sonne ersenfzt und alle Thatkraft darnieder hält. Die gemäßigten Länder aber, wie die Türkei, Persien, das eigent- liche China und Japan sind trotz der günstigeren Natur nicht zu geistiger Entwickelung und bürgerlicher Freiheit fortgeschritten: von Westen bis nach Osten derselbe Despotismus der Herrscher, derselbe Sklavensinn der Beherrschten. Die Religion Mohammeds war ein loderndes Feuer, das eine Zeit lang von Arabien aus die angrenzenden Volksstämme mit neuer Thatkraft beseelte, aber es war vorübergehend und konnte - den Funken wahrer Geistesbildung nicht entzünden. So sehen wir denn jetzt bei den gebildeteren asiatischen Nationen nur noch Üppigkeit und Schlaffheit, das türkische Reich in Asien ist so morsch wie 'das in Europa; das alte Indien ist tot, die Religionen haben ihre Heiligkeit, die alten Schriftwerke ihr Verständnis, die alten Sitten ihre Bedeutung verloren, obwohl der feingebildete Hindu noch lange den europäischen Eindringlingen seinen zähem Widerstand entgegensetzen lvird. China, die „Blume der Mitte", ist eine welkende Blume, ein mit Menschen überfülltes Haus, das einzustürzen droht. Kräftiger noch und bildsamer im Innern steht das Jnselreich Japan da, das sich jetzt nicht mehr streng gegen fremde Völker abschließt; denn vor einigen Jahren sind die Japanesen mit mehreren europäischen Groß- mächten in Handelsverbindungen getreten. Der Charakter des geistigen Lebens im Morgenlande ist Einförmig- keit; doch um so mannigfaltiger erscheint das natürliche Leben des Menschen, um so verschiedener sind seine Sitten, seine Körperbildung, seine Sprache, Lebensart und Betriebsamkeit — entsprechend dem asiatischen Festlande selber, der in seinen natürlichen Verhältnissen von allen Erdteilen die größte Mannigfaltigkeit darbietet. In keinem Erd- teile sind die klimatischen Verhältnisse so eigentümlich und verschieden- artig wie in Asien. Seine große Ausdehnung umfaßt alle Zonen. Der im hohen Norden wohnende Polarmensch, der Samojede, Tschuktsche, Ostjäke, nicht viel über vier Fuß hoch, und wiederum
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