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1. Bd. 2 - S. 192

1886 - Langensalza : Greßler
192 gezogenen Strick in der Stadt umhergeführt, ehe man sie umbringt. Wie gesetzlich es hier zugehen muß, beweist schon die Einrichtung, daß kein Beamter Gehalt bekommt, sondern stillschweigend darauf angewiesen ist, Geld von seinen Untergebenen zu erpressen. Das thun auch alle so viel als möglich. Aber es Hilst ihnen nicht lange; denn sobald der Kaiser merkt, daß einer reich geworden ist, so macht er ihn irgend eines Vergehens schuldig und nimmt ihm Geld und Leben, oder wenigstens das erstere, so daß jeder nur für den gegenwärtigen Augenblick lebt. — Dann und wann treiben die Marokkaner noch Seeräuberei. Uber die Stadt Marokko und über einen Besuch bei dem Kaiser von Marokko teilt uns ein Reisender nachstehendes mit: „Marokko, die Stadt der Rätsel, von so wenigen Europäern be- treten, daß sie für uns beinahe eine Stadt der Fabeln geworden ist, lag vor mir! Ich sollte einer der wenigen Europäer sein, die Kaiser- stadt des Südens in Augenschein zu nehmen und ihre Straßen zu durchwandern. Ein großartiger, überraschender Anblick bot sich unsern Augen. Inmitten eines Waldes von Datteln- und Fächerpalmen lag eine Häusermasse von bedeutender Ausdehnung, wie man sie nur bei einer Weltstadt zu erblicken gewohnt ist. Das ganze weitgedehnte Häusermeer war von einer mittelalterlichen Festnngsmauer umgeben, von der zahllose Türme und Türmchen emporragten, die dem Ganzen ein höchst stattliches, großartiges Aussehen verliehen. Zur Seite glänzten die Kuppeln des Kaiserpalastes, die hundert Minaretts der Moscheeen. Die drei goldenen Kugeln auf dem Kuppeldachs der dem Palast zu- nächst gelegenen Moschee strahlten leuchtend und hell, vom Sonnen- strahle geküßt. Der mächtige Riesenminarett, die Hauptzierde Marokkos, beherrschte weit das unterworfene Häusermeer. Die Thore hoben sich stolz und kühn in die Höhe. Aber un Näherkommen gewahrte das forschende Auge bald, in- mitten dieses Häusermeeres, zahlreiche Lücken und noch mehr Ruinen, welche, von weitem kaum erkennbar, zwar dem Entfernten den Eindruck emer Großstadt ungestört ließen, jedoch mit jedem Schritte des Näher- kommens eine Täuschung nach der andern zerstörten, so daß zuletzt von dem anfangs so glänzenden Gemälde, welches die durch die einförmigen Bilder der nächtlichen Reise ausgehungerte Phantasie gierig eingeschlürft hatte, nur noch sparsame Reste und traurige Ruinen übrig blieben. Die sehr weite, nicht zur Hälfte mit bewohnbaren Häusern ausgefüllte Ringmauer täuschte von der Ferne so, daß ich anfangs glaubte, die Stadt entspreche wirklich noch diesen großartigen Ausdehnungen, die sie vielleicht einst gehabt hatte. Diese schöne Täuschung jedoch zerstreute sich jetzt. Marokko erschien in seinem wahren Lichte, als eine gefallene Königin. Marokko haben die Araber nicht mit Unrecht das „Damaskus des Westens" genannt. Denn, wie jene Perle des Orients, liegt es in grünender, lachender Thalebene am Fuße steiler, grauenerregender Höhen,
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