1. Bd. 2
- S. 292
1886 -
Langensalza
: Greßler
- Autor: Mauer, August
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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nach den Flnßusern geschleppt und im Mai verfloßt. Millionen
Stämme wandern auf diese Weise in die Hafenstädte zum Verkauf,
und der Boden, welcher dadurch von Wald entblößt wird, verfällt
sofort einer Bebauung, die einst mit mehr Arbeitskräften Kanada zu
einem Paradiese des Ackerbaues zu machen verspricht.
10. Der Niagarafall.*
Der St. Lorenzstrom hat mitten in den ungeheuren Wäldern des
westlichen Nordamerika seine Quellen, welche in fünf große Seeen
zusammenfließen. Diese Seeen stehen durch den großen St. Lorenz-
strom miteinander in Verbindung, welcher von dem einen in den
andern fließt. Die vier ersten dieser Seeen liegen bedeutend höher,
als der Ontario, welcher daher auch schlechthin der untere See ge-
nannt wird. Zwischen dem Erie- und dem Ontario-See bildet der
Strom einen Wasserfall von ungeheurer Höhe, welcher der Niagara-
sall genannt wird. Ehe der Niagara zu seinem Falle kommt, bildet
er in ziemlich gekrümmtem Laufe starke Stromschuellen, welche durch
Kiefern beschattete Inseln wild und reißend hindurch strömen, und
endlich stürzt er, durch die Ziegeninsel in zwei größere Teile gespaltet,
50 bis 54 Meter senkrecht in einen länglich ovalen Felsenkegel hinab,
welcher dem gewaltigen Strom nur einen verhältnismäßig schwachen
Abfluß gestattet. Dadurch entsteht in seinem 630 Meter breiten Becken
eine so bedeutende Anschwellung, daß man, obgleich von den Wellen
mächtig hin- und hergeworfen, ohne Gefahr in kleinen Booten darin
umherrudern kann. In der Mitte bildet der Fall eine große hufeisen-
förmige Einbiegung, welche durch den hoch in die Lust auswirbelnden
Wassernebel kenntlich ist. Schon in einer Entfernung von 10 preußischen
Meilen ist das Tosen des Niagarasalles hörbar. — Über alle Be-
schreibung furchtbar und schön zugleich ist der Anblick in der Nähe,
besonders wenn die Sonne sich in dem staubähnlichen Wassernebel in
tausend immer wiederkehrenden Regenbogen bricht. War der Anblick
dieser imposanten Scene staunenerregend, so ist derselbe hinter dem
Fall schauderhaft. Es gehört ein eben so gewandter als unerschrockener
Beobachter dazu, um durch die Windstöße und Wasserschauer, welche
ihn am Eingänge des beschriebenen Schlundes umtoben, in das zwar
dunkle, aber geräumige Gewölbe, welches auf der einen Seite durch
den Wassersall, aus der andern durch den überhängenden Felsen ge-
bildet wird, einzudringen.
Das Wasser prallt dort so heftig von unten herauf, daß man
kaum imstande ist die Augen zu öffnen. Blickt man in die Höhe, so
sieht man das Wasser durch die Risse der Felsen mit ^Heftigkeit herab-
strömen; dieses aber, sowie die Betrachtung, daß der Fuß des Gesteins
stets unterwaschen wird, möchte wohl selbst einen beherzten Mann von
* Duttenhofer und Meyer.