1884 -
Calw [u. a.]
: Verl. der Vereinsbuchh.
- Autor: Behr, Friedrich, Schwarz, Eduard, Frohnmeyer, Immanuel
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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sagen sie auch: „Wir allein sehen mit zwei Augen, die Europäer mit Einem, alle andere
Völker sind blind." — Dagegen ist ihre Musik noch ganz die von Barbarenvölkern, ihre
Malerei zwar künstlich, aber ohne höhere Ideen, ohne Schatten und ohne Perspektive.
Sie haben keinen Sinn für Anmut, Gesang, wahre Schönheit. Hingegen lieben sie spitz-
findige Gedanken, fcharf ausgeprägte Gegensätze, geometrische Symmetrie. Gegen die
Denkweise anderer Nationen verhielten sie sich abschließend, wie auch, im Gegensatz zu
Japan, gegen neue Erfindungen; die Schienen der einzigen Eisenbahnstrecke (bei Schanghai)
mußten wieder herausgerissen werden. Denn ist nicht das ganze Land ein Kirchhof, Be-
unrnhignng der Totengebeine aber das höchste Verbrechen? Doch sagen ihnen Dampfer,
Leuchttürme und Telegraphen zu und andere Neuerungen haben schon viele Anhänger.
§ 539. Das Regiment in China ist streng, der Drache auf des Kaisers Brust ist
sein Siuubild, und die Strafe» sind hart: grausame Leibesstrafen, gräßliche Todesarten,
massenhafte Hinrichtungen. Aber die Hauptmittel, durch die der große Polizeistaat regiert
wird, bleiben Sittenregeln, die man die Jugend lernen läßt, der Reiz der Standes-
auszeichnung, und Stockschläge, denen auch die Beamteu unterworfen sind. Zwar herrscht
unter diesen eine furchtbare Verdorbenheit und Mißregieruug. Doch besteht trotz allem
durch das gauze Reich große Freiheit: wenig Militär und Polizei, keine Pässe, die
Städte unter Selbstregierung, Dörfer und Landstädte fast nur von Familien gleicher
Abkunft bewohnt, große Leichtigkeit des Grunderwerbs und Verkaufs, ebenso des Reifens
und Auswauderns, völlige Freiheit des Gewerbs, sowie der Bildung von Vereinen, die
doch durch Geheimverbindungen oft staatsgefährlich werden.
Die Chinesen sind kein Religionsvolk wie die Hindu, die Tibetaner, die Türken oder
Russen; ihr Staat ist ein Gelehrtenstaat. Wissenschaft gilt unendlich viel mehr als
alle Militärgröße. Den Kaiser achtet man als Inbegriff aller Weisheit. Die oberste
Prüfuugsbehörde in Peking ist der höchste Reichskörper des Staats. In jeder Provinz
ist eine Exzellenz Oberintendant der Wissenschaften. Durch ein großes System von
Prüfungen werden die besten Köpfe für den Staatsdienst erlesen. Der eigentliche Adel
ist die Elite der höchsten Gelehrten, ohne die der Kaiser keinen hohen Beamten anstellen
kann. Den höchsten Staatskörpern liegt es ob, die Encyklopädieen abzufassen. Jeder
Bewerber um irgend ein Amt muß sich vor allem über seine Gelehrsamkeit ausweisen und
seine Zeugnisse von den Staatsprüfungen vorlegen. In keinem Reiche der Welt gilt
Gelehrsamkeit so viel; freilich chinesische Gelehrsamkeit, ohne Geist und freie Bewegung,
aber doch mit sehr vielen Kenntnissen und einer uugeheueru Literatur. Daher wimmelt
es von Gelehrten („Bücherlesern"), mehr oder minder geschickten; denn was man bei uns
unter Lesen und Schreiben versteht, das bedarf in der schweren chinesischen Schrift (mit
Tusche und Pinsel), und in der besonderen Gelehrten- und Amtssprache, eiu gewaltiges
Studium. Die Chinesen haben nämlich keine Lautschrift, sondern ein scharfsinnig aus-
gedachtes System vou oft willkürlich gewählten Wortzeichen, denen 214 Wurzelzeichen zu
Grunde liegen, für jedes Wort ein besonderes Zeichen (Zeichenschrift). Für den ge-
wöhnlichen Bedarf reicht zwar die Kenntnis von 3000 Zeichen aus; aber, um die alten
und neuen Bücher lesen zu können, muß man deren 33000 oder gar 80000 kennen! Zu-
dem ist die Sprache selbst sehr schwer: sie ist eine einsilbige, uns kindisch lautende, in der
die Aecente und Töne eine große Rolle spielen, mit vielen Dialekten, besonders im Süden
des Jangtse. Neuu Stufen, durch Abzeichen kenntlich, steigen bis zur höchsten Würde
der Kaiserlichen Akademie empor. Und wiewohl man den Ackerbau ehrt (der Kaiser pflügt
ja selbst alljährlich den heil. Acker bei dem großen Tempel des Erfinders des Ackerbaus),
so zeichnen sich die Gelehrten doch gern als arbeitslose durch lange Fingernägel aus.
Die Religion, ursprünglich Ahnendienst, ist ein Götzendienst geworden; die meisten
beten den Buddha (F o) au. Man hat Hansaltäre mit Götzenbildern, und verbrennt dem
Fo oder andern Göttern, besonders aber den Geistern der Ahnen, Streifen von Gold-
Papier und Weihrauch, opfert auch Früchte, Thee, und bei größeren Anlässen Geflügel
oder ein Schwein, mit Feuerwerk. Eine Brenge Feste, aber kein Sonntag und keine
Wochen (nur Mondsmonate). Übrigens verrichten.der Kaiser und die Staatsbeamten
selbst Priesterdienste; dem höchsten Gott darf nur der Kaiser opfern, als Stellvertreter
der Gottheit auf Erden. Und bei Dürre, Pest, Hungersnot, Krieg zc. fleht der Kaiser
allein vor dem Volke in Sacktuch den Himmel an.