1879 -
Grimma
: Gensel
- Autor: Oberländer, Hermann
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Handel.) Wir erinnern an die Savoyarden, Graubündner, Vorarlberger,
Tyroler, Schwarzwälder, Anvergnaten, Limousiner, Gallego's, Astnrier,
Dalekarlier, Fnhla's, an die Zemindare in Kamann und die gallicischen
Polen am nördlichen Abhange der hohen Karpathen. Dies giebt vielen Ge-
birgsbewohnern den Charakter des Nomadischen, den auch außerdem das
Geschäft des Lasttragens oder Sanmthier-Treibens, sowie die auf
den Höhen vorzugsweise herrschende Viehzucht ihnen verleihen.
Auch die Kunst ist im Gebirge vertreten. Von den plastischen Arbeiten
der Aelpler z. B. sind die Holzschnitzereien ans Groeden in Tyrol, ans Berch-
tesgaden und aus der Fichtau im Traungebiet weltberühmt. Aber auch von
höheren Künstlern weisen die Alpenlandschaften eine Zahl auf. Tyrol allein
zählt eine Reihe wackerer Maler aus alter und neuer Zeit. An dieser Stelle
sei auch der Kunst des Gesanges gedacht. Das Jodeln in den Alpen, dieses
Gebirges eigenthümlichster Gesang, der sich von den Grenzen Frankreichs
bis an die von Ungarn fast bei allen alpinischen Hochgebirgsvölkern findet,
ist aus der Natur der Alpen hervorgegangen, indem er auf die Erweckung
des in den hohen Felsenwänden schlummernden Echo's berechnet ist. Die
Strauß'schen und Lanner'schen Walzer sind nur die verklärten Töne des von
den Seuuhütteu ans luftiger Höhe herabtönenden Jodelns.2)
e. Leben der Gebirgsbewohner unter einander. Die äußere
Absonderung, zu welcher hohe und rauhe Gebirge ihre Bewohner nöthi-
gen, hat zur Folge, daß in ihnen Städte selten und die Menschen in ein-
zelne Wohnungen und mehrere, aber kleinere Ortschaften vertheilt sind,
während dagegen in ebenen Flächen sich Alles mehr in Städte und größere
Ortschaften zusammendrängt. Ein Gebirgsvolk zersällt dadurch, theils nach
Thälern, theils nach den eine Anzahl derselben mit einander verbindenden
und von den übrigen trennenden Gebirgsganen, in mehrere kleinere und
größere Gruppen, deren jede als eng verbundene und sich eigenthümlich ent-
wickelnde Gemeinde leicht mit stolzem Selbstgefühl und eifersüchtig den andern
gegenüber auftritt. Vgl. die Bewohner der schottischen Hochlandsthäler,
auch die gewisser Alpengegenden.
Wie sehr aber auch das Gebirge die Glieder der dasselbe bewohnenden
Volksgesammtheit äußerlich von einander trennt, so rückt es doch andrerseits
seine Bewohner durch die Gleichartigkeit ihrer Bedürfnisse, ihrer Sitte und
Beschäftigung innerlich einander näher als die Ebene. Keinem ist das
Geschäft des Andern fremd; denn Jeder treibt mehr oder weniger dasselbe.
Man begegnet sich öfters, denn es giebt nur wenige Wege, und Jeden führen
dort, wo der Mensch weniger an die Scholle eines einzigen Dorfes gefesselt
ist, seine Beschäftigungen und Bedürfnisse sehr oft weit von der eigenen Hütte
weg. Man kennt sich mehr, als in der Ebene, weil fast immer nur dieselben
Menschen sich in einem Districte umhertreiben. Man bedarf endlich einander
mehr, weil Gefahren und Schwierigkeiten leichter und bei Jedem sich einstellen.
Daher kommt es, daß sich unter den Gebirgsbewohnern in der Regel große
Willfährigkeit und Freundlichkeit findet, daß die Gastfreiheit bei ihnen noch
in hohem Grade heimisch ist, und daß die Standesunterschiede bei ihnen ver-
schwinden. Das unter den Tyrolern und Steiermärkern herrschende „Du"
ist hieriu begründet.
1) I. c. Iii, 1058. — 2) Kutzen I. o. 156.