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1. Der geographische Unterricht - S. 276

1879 - Grimma : Gensel
— 276 — von Jahren. Ein zweiter geht aus dem Innthals über den Brenner hin- unter in die Etschfurche, und ein dritter hat in einem riesigen Tunnel die gewaltige Masse des Mout Cenis durchbohrt. Drei andere Eisenbahnen sind bereits bis tief in das Herz des Hochgebirges vorgedrungen, und schon schickt sich der Bohrer an, durch das Massiv des St. Gotthard hindurch dem Dampfroß den Weg zu bahnen. Unter Felsen und Gletschern hinweg ver- kehren die Völker mit einander. Der Mensch kann sich rühmen, sür seinen Verkehr selbst die Alpen geebnet zu haben; er hat ihnen die Bedeutung einer Völkerscheide genommen.1) Wie aber der Mensch im Hochgebirgslande auf Beseitigung oder wenig- stens Durchbrechung der Gebirge bedacht ist, so sucht er im Tieflande an den Meeresküsten folche in's Leben zu rufen und die bereits vorhandenen zu er- halten. So führeu die Küstenbewohner der nordwestlichen deutschen Tief- ebene große Deiche auf, um durch solche ihr Laud vor den feindlichen An- griffen des beutesüchtigen Meeres sicher zu stellen, und die Dünen schmücken sie mit einer sandbindenden Strandvegetation, damit der Wind diese natür- lichen Sandberge nicht abtrage und landeinwärts wandern lasse. 5) Auch die Flüsse reißt der Mensch zuweilen aus ihren natürlichen Strombahnen und weist ihnen andere Wege an, um ihr Wasser für den Handelsverkehr, sowie für die Befruchtung seiner Felder besser ausnutzen zu können. Er baut küustliche Strombetten, Kanäle genannt, und leitet auf diese Weise die Flüsse auf alle die Punkte, wohin er sie haben will. (Aegypter und Holländer.) Wie er aber einerseits auf eine reichere Be- Wässerung feines Landes bedacht ist, so wirkt er anderseits dahin, sich des überflüssigen und Schaden bringenden Wassers zu eutledigeu, indem er Teiche und Seeen entwässert (Harlemer Meer), ganze Sümpfe trocken legt und die Uferleisten der Ströme erhöht, wenn dieselben uns durch ihre Höhen- schwellen stören. Wird irgendwo der Regen allzülästig, oder sträubt sich das Erdreich, in Bezug auf die Abfuhr der himmlischen Wasser die Anforderungen zu erfüllen, die wir stellen müssen, so versehen wir große Ländergebiete mit Röhrenleitungen zur Hebuug dieses Mangels; ja wir versehen gleichsam die Erdrinde mit Gefäßen, die ähnliche Leistungen verrichten, wie etwa das or- ganische Gewebe der thierischen Haut.^) Eine große Anzahl von Flüssen hat der Mensch, so zu sageu, durch Zähmung sich unschädlich und nützlich gemacht und dadurch die Natur der- selben theilweife geändert. Ehrwürdige Spuren dieser uralten Bändigung und Milderung der wilden Flußnatur zeigen die für die Entwickelung mensch- licher Cnltur so wichtigen Flüsse Nil und Euphrat; überlieferte frühere Fluß- namen, wie z. B. das Wort „Araxes" beim Bendemir (Ritter, Erdkunde Viii. 866), weifen auf den ehemaligen wilden Zustand hin, und Traditionen erzählen von den Wohlthätern, welche dadurch die furchtbaren Feinde der Menschen in Nutzen bringende Diener umgewandelt, ebensowohl im fernen Hinterasien (1. c. Iii, 1109. Ii, 159), wie im Osten von Europa, wo nach der Meinung alter Schriftsteller das segenvolle Horn der Amalthea, welches Herkules dem Flusse Achelous abbrach und dem anwohnenden Könige Oeneus schenkte, sich auf das Eiudeicheu und Durchstechen des vorher höchst Verderb- lichen Flusses bezieht. Diese Bändigung und Zähmung der Flüsse, welche 1) El. Reclus, die Erde I, 130 ff. — 2) Peschel, Rückwirkung der Länder- gestaltung auf die menschliche Gesittung. Ausland 1867, 914.
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