1912 -
Leipzig
: Wunderlich
- Autor: ,
- Hrsg.: Weigeldt, Paul
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Friedrich Ratzel.
Die deutsche Landschaft.
Aus der „Deutschen Rundschau", herausgegeben von Julius Rodenberg.
22. Jahrgang, Heft 12, Seite 346 bis 367, Berlin 1896, Gebrüder Paetel.
Auch das Alter der Völker hat tröstliche Vorteile. Wir sind heran-
gereift und in unser Land hineingealtert. Die wachsende Zahl der Sohlen,
die diesen Boden beschreiten, und der Hände, die ihn bearbeiten, ist
greifbar. Durch den Volkskörper sich fortpflanzend, kommt die ver-
vielfältigte Berührung mit der Erde selbst denen zum Bewußtsein, die
ihren Mutterboden nicht mehr zu fühlen scheinen. Wir mögen uns in
amerikanische Baumwolle kleiden und indischen Weizen essen, wir sind
doch von den Erzeugnissen und Schätzen dieses Fleckchens Erde nie so
abhängig gewesen wie heute. Unsere Vorfahren waren entschiedener
auf das hingewiesen, was ihr Boden ihnen bot; aber wir sind mit
doppelten und dreifachen Zahlen auf derselben Fläche dennoch ab-
hängiger von ihm. Ohne das Eisen und die Kohlen dieses Bodens wären
wir ein ganz anderes Volk, anders von Besitz und innerem Aufbau.
Wie nützt der Verkehr Deutschlands Küsten, Ströme, Pässe in jährlich
steigendem Maße aus! Und politisch halten wir ohne Zweifel als ge-
einigtes und wohlgerüstetes Volk dieses unser Land fester denn jemals
vorher. Daß das alles eine Menge von neuen, geistigen Beziehungen
schaffen muß, ist klar. Bewiesen wird es schon durch Karten und
Bücher, aus denen wir sehen, welche Fortschritte Kenntnis und Ver-
ständnis unseres Landes gemacht haben. Auch die Kunst trägt das
Ihre dazu bei. Hat nicht die deutsche Landschaft erst in unserem Jahr-
hundert die künstlerische Verwertung gefunden, zu der früher nur An-
laufe und Versuche gemacht waren? Und daß der Poesie das Ver-
ständnis der landschaftlichen Schönheit unserer Heimat überhaupt erst
in der Zeit aufgegangen sei, wo man mit empfindsamer Betonung das
Wort „romantisch" zu verwenden begann, wird von Kennern behauptet.
Es ist zwar nicht ganz richtig. Aber die lyrische Vertiefung in den
Reichtum der deutschen Landschaft haben allerdings Brockes und Haller
den Gebildeten erst lieb und vertraut gemacht. Nur sollte man darüber
nicht vergessen, daß tausend Jahre vorher einfache Bauern und „be-
schränkte" Mönche ihre Höfe, Klöster und Kapellen mit erstaunlichem
Blick für das Schöne und Große in der Natur gerade an die Punkte
hingesetzt^haben, deren Reize den Gebildeten durch die Lyriker des acht-
zehnten Jahrhunderts wieder erschlossen werden mußten. So wenig
haben die Brüder van Eyck die Reize der Maaslandschaft oder Albrecht
Dürer die Schönheit der fränkischen Berge „entdeckt", wie Ewald
v. Kleist als Neufinder landschaftlicher Merkwürdigkeiten seiner „Bilder-