1912 -
Leipzig
: Wunderlich
- Autor: ,
- Hrsg.: Weigeldt, Paul
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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sind das Ergebnis einer langen geschichtlichen Entwicklung, auch der
deutsche Boden ist es. Als die Römer Deutschland kennen lernten, waren
die Werke der Menschen auf deutschem Boden klein und gering. Gerade
das bestimmt die bekannten römischen Schilderungen, in denen Deutsch-
land als ein Barbarenland von dünner Bevölkerung, wenig Äckern
und noch weniger Gärten, gar keinen Weinbergen erscheint. Die natür-
liche Landschaft herrschte, weil die Natur noch ungebrochen war; den
Boden bedeckten Wald, Heide und Sumpfwiese. Es war die Landschaft,
die man heute in den abgelegensten Teilen von Osteuropa und Nord-
amerika findet. Die Kultur übte nun ihre Wirkungen in zwei großen
Richtungen. Einmal lichtete sie den Wald und engte das Wasser in
allen seinen Formen ein, vervielfältigte und vergrößerte die Wohnstätten
der Menschen und machte sie dauerhafter, brachte neue Pflanzen und
Tiere ins Land. Dann aber bahnte sie unbeabsichtigte Veränderungen
an, die von selbst aus den Kulturarbeiten hervorgingen. Mit der Aus-
trocknung des Bodens änderte sich das Klima; mit der Einführung
neuer Pflanzen und Tiere wurden die Lebensbedingungen der vor-
handenen umgestaltet. Wo früher nur Streifen Heideland, Moor oder
Sumpfwiese natürliche Lichtungen im überwiegenden Wald bildeten,
entstanden durch die Arbeit der Menschen immer weitere waldlose Ge-
biete, aus denen die schattenliebenden Pflanzen und Tiere verschwanden,
denen das Waldesdunkel Schutz gewährte, und in die „Kultursteppe"
wanderten neue Bewohner ein. Wo weite Wälder einst Schutz und
Schranken gebildet hatten, klafften nun die Breschen zusammenhängen-
der Lichtungen. Ein paar Bären in einem Gebirge wie dem Wetterstein,
wo der letzte Bär 1835 erlegt worden ist, ändern kaum das Bild der
Landschaft, in der sie ihrer ganzen Weise nach als Staffage nicht stark
hervortreten können. Aber es schwebt doch ein ganz anderer Hauch
über einem Lande, das noch große Raubtiere birgt. Eine solche Ver-
Wandlung der Hochgebirgstäler in Parke voll geputzter Städter, unter
denen hilflose Greise und Kinder am stärksten vertreten sind, wie sie
etwa im Berchtesgadener Land jährlich weiter schreitet, wäre doch schon
im Mühlbachtal der siebenbürgischen Karpathen undenkbar, in dessen
oberen Teilen die walachischen Hirten noch heute mit der Flinte ihre
Herden gegen Bären und Wölfe schützen.
Im Laufe dieser Entwicklung haben sich zu den natürlichen Unter-
schieden des deutschen Bodens und des Himmels über deutschen Landen
Schattierungen geschichtlicher Art gelegt. Wenn über keinem Teil eines
Landes von zweiundneunzig Einwohnern auf einen Quadratkilometer
mehr die tiefe Einsamkeit einer nordamerikanischen Landschaft schweben
kann, die den fünften oder zehnten Teil dieser Bevölkerung auf gleicher
Fläche trägt, so bleiben doch noch Unterschiede übrig. So allein, wie
man mit Himmel, Wald und Wasser jetzt noch in manchen Teilen der
Alleghanies eine Viertelstunde von einem Riesenhotel ist, kann man bei