1887 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Hentschel, Kurt, Märkel
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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E. In der Schweiz.
Wucht und dröhnendem Gepolter donnert der Hauptstrom in die Tiefe. Auf
seinem Wege reißt er Steine und Gebüsch mit sich fort und bricht iu der
Holzregion krachend in den Wald. Unendliche Staubwolken verhüllen den Gang
des Stromes, der zu rauchen scheint. Die Felsen erbeben in ihren Grund-
festen, die Bäume krachen, der Donner rollt au deu himmelhohen Zinnen in
unzähligen Echos lange, bange Minuten hin. Daun ein erschütternder Schlag —
und plötzliche Stille. Die wilde Tochter der Hochalpen hat nach schauerlichem
Tanze iu der Thalmulde ihr Ziel gefunden und ruht nun friedlich und be-
Wegungslos von ihrem siegreichen Donnergange aus.
Die Wirkung einer solchen Staublawine ist eiue doppelte. Eiuerseits
hüllt der niederstürzende Schneeocean in sekundenkurzer Zeit Gegeudeu,
Häuser, Menschen und Vieh so vollständig ein, daß dieselben in vielen Fällen
tief vergraben liegen und nur eiligste Hilse Rettung ermöglicht; andererseits
aber ist der durch den raschen Sturz veraulaßte Druck der Luft fo gewaltig,
daß, wie bei Explosionen von Pulvertürmeu, lediglich durch ihn riesige Bäume
aus dem Boden gerissen oder geknickt, große Felsblöcke, Häuser, Menschen und
Tiere, welche die Lawine uicht einmal erreicht, zur Seite geschobeu, empor-
geschnellt und wie Flaumfederchen durch die Luft geschleudert werde».
Die denkwürdigsten Unglücksfälle in den Alpen sind durch den Ausbruch
solcher Staublawinen entstanden. In? Jahre 1719 zerstörte eine solche das
Dors Leuk iu Wallis bis auf wenige Hütten und schüttete eine solche unerhörte
Schneelast aus die Häuser, daß nur ein geringer Teil der in ihren Wohnungen
lebendig Begrabenen sich wieder ans Tageslicht emporarbeiten konnte. Im
darauffolgenden Jahre zerstörte eine von der Grimfel herabstürzende Lawine
ein Walliser Pfarrdorf dermaßen, daß 88 Menschen miteinander in ein großes
Grab gelegt wurden. 120 Häuser wurden dabei zertrümmert, und 100 Stück
Bieh kamen ums Leben. Das bedeutendste Staublawiueuunglück aus neuerer
Zeit ist jenes, welches 1827 das Dorf Biel in Wallis ereilte und 40 Menschen
als Opfer verschlang. Indessen sind auch außerordentlich viele Beispiele von
wunderbaren Rettungen bekannt. So z. B. wurde im Jahre 1836 in einem
Graubündeuer Thale ein Haus, iu welchem zwöls spielende Kinder ver-
sammelt waren, von einer Lawine ergriffen, fortgeschoben und gänzlich mit
feinem Schnee zugedeckt. Die Eltern der Kleinen eilten schreckerfüllt mit
Schaufeln und Spaten jener Gegend zu, iu welcher sie das Haus verschüttet
glaubten; aber noch ehe sie beginnen konnten ernstlich zu arbeiten, kamen die
Kinder, eines nach dem andern, wohlbehalten aus dem Schnee hervorgekrochen.
Noch drolliger ist jener Vorfall aus der Zeit Maximilians I. Damals waren
400 kaiserliche Landsknechte von einer Staublawine verschlungen und über eine
Anhöhe hinabgeworfen worden. Aber, o Wunder! Bald lebte die ganze Schnee-
masse wie ein Ameisenhaufen, und unter dem Gelächter ihrer unberührt ge-