1903 -
Leipzig
: Wachsmuth
- Autor: Weigeldt, Paul
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Hier auf dieser wunderbaren Landzunge, die gleichsam wie
ein Arm Europas hinüberreicht nach dem schimmernden Asien, da
wo zwei Weltteile einander grüßen, steht das alte Serail, der
Kaiserpalast, das Schloß der osmanischen Sultane.1) Das Ganze
bildet eine Stadt für sich und wird von 6—7000 Einwohnern be-
wohnt. Es ist von einer mit Zinnen und viereckigen Türmen ver-
sehenen Mauer umgeben, die eine Stunde lang ist und 12 Tore hat.
Beim Bahnhofe beginnend, steigt sie allmählich bis zur Sophien-
moschee empor, senkt sich dann auf der anderen Seite wieder zum
Marmarameer und schließt weiter die ganze Landspitze von Stambul
ein. Von der teilweise noch aus der Zeit Konstantin des Großen
stammenden Mauer der Seeseite wurde viel beim Bau der Eisen-
bahn niedergerissen. Aus vielen Gebäuden und Gartenanlagen be-
stehend, mit seinem Wechsel von phantastischen Kiosken, von ver-
goldeten Dächern und Kuppeln und den emporragenden Cypressen
bietet das Serail nach der Seeseite hin einen großartigen Anblick
dar. Im Innern sieht es freilich anders aus; der Park z. B. hat
„seine Reize in einem Grade verloren, daß er bei seiner Verwahr-
losung, seinen Schutthaufen und grasüberwucherten Pfaden kaum
mehr daran zu mahnen vermag, welchen märchenhaften Zauber er
einst hütete. Keine sorgsame Hand rettet hier das Andenken an
einstigen Glanz und verschollene Größe."
Das Innere des Serails ist in zwei große Vorhöfe und den eigent-
lichen Palast geteilt. Der Besuch des äußeren Serailhofes ist jedem
gestattet, aber zur Besichtigung der inneren Höfe und des Palastes
selbst ist ein Erlaubnisschein vom Oberceremoniennieister des Sultans
erforderlich, und dieser wird nur ganz bevorzugten Fremden erteilt.
Geht man durch das Kaisertor, so heißt der Haupteingang, in das
Innere des Serails, so gelangt man in den ersten Hof. Ei' ist etwa
Die ersten Sultane Konstantinopels wohnten im E ski-Serail (alten
Palast), das am heutigen Seraskierat-Platz (westlich vom Südende der Brücke,
also außerhalb des Bildes) stand und jetzt verschwunden ist. Später diente
der Palast der Serailspitze, das Jeni-Serail (neuer Palastj als Residenz, während
die Haremsfrauen das Eski-Serail bewohnten. Nachdem nun die Sultane in
den Palast von Dolma-Bagtsche (am europäischen Ufer des Bosporus un-
weit Galata) übersiedelten, wurde der Palast an der Serailspitze auch Eski-
Serail genannt und den Sultaninnen als Wohnung angewiesen. Der gegen-
wärtige Sultan residiert in Yildis-Kiosk, das hoch über Dolma-Bagtsche auf
einem Uferberge thront; Dolma-Bagtsche selbst dient den kaiserlichen Prinzen
als Wohnung.