1911 -
Straßburg i.E.
: Bull
- Autor: Hauptmann, Emil
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Ii. Europa.
durch den Bevölkerungszuwachs für jeden einzelnen immer geringer
geworden.
Oft liegen die einzelnen Besitzteile eines Bauern 10—20 Km von
seinem Dorfe weg. Die Äcker sind sehr schmal, meist nur d>ll2 Fuß
(1 Fuß — 0,3048 m) breit, dabei so lang, daß der Bauer einen
halben Tag braucht, um mit seinem elenden, mit schlechtem Zugvieh
bespannten Pflug hin, und einen andern halben, um wieder her zu
ackern.
Meist pachtet der Bauer Land zu fast unerschwinglichen Pacht-
preisen dazu. In schlechten Iahren muß er den größten
Teil seiner Ernte verkaufen, um den Pachtzins be-
zahlen und sich sonst das Nötige kaufen zu können.
Im nächsten Jahre, wenn die Zinsen für geliehene Kapitalien bezahlt
werden sollen, ist die Last nur größer, der Verkauf von Getreide
muß noch umfangreicher werden.
Dazu zwingt die Regierung den Bauern geradezu, sein Korn
zu verkaufen; denn sie will eine starke Getreideausfuhr. Sie
weiß, welche gewaltigen Summen an Zinsen Rußland alljährlich
ans Ausland zahlt, es muß ausgeführt werden, damit die Geld-
abwanderung nach dem Auslande wettgemacht werden kann, damit
man dem Auslande vortäuschen kann, Rußland erfreue sich einer
glücklichen Blüte seiner Wirtschaft. (Vergl. wie Deutschland, Eng-
land, Italien, Schweiz ihren Geldabfluß ins Ausland ausgleichen.)
Weil also die russische Regierung die Getreideausfuhr will, schickt
sie den Steuererheber unmittelbar nach der Ernte, wenn
das Getreide billig ist. Dann wird der Bauer viel verkaufen,
um die nötigen Summen aufzubringen. Oft genug muß er dann
im Frühjahr Brot- und Saatkorn zu höheren Preisen wieder
kaufen. Während sein Getreide in die Fremde wandert, hungert
er daheim.
Neben dem Pachtzins hat er noch gewaltige Abgaben zu
zahlen für seine vor Iahren erfolgte Befreiung vom Joch der Leib-
eigenschaft.
Weil sein Land nicht Eigentum ist, bebaut er es auch schlecht;
gedüngt wird in manchen Gegenden gar nicht. Dem Abgesandten
der Regierung erklärten die Schwarzerdbauern: Getreide von ge-
düngtem Acker ist gut für die Schweine und die Ausländer, aber
nicht für rechtgläubige russische Bauern. Im Frühjahr wird der
Dünger verbrannt und dadurch meilenweit die Luft verpestet. Es
fehlt an Geld und Wissen für eine gute Bewirtschaftung. Die