1911 -
Straßburg i.E.
: Bull
- Autor: Hauptmann, Emil
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Ii. Europa.
Reichshälfte hat ihren Reichstag, ihre eigene völlig selbständige Ver-
waltung, ihren eigenen Regierungssitz. (Wien und Ofen-Pest.)
Gemeinsam sind nur: Die Vertretung nach außen, das Äeer,
die Finanzen, die Staatsbank und die sogenannten „Delegationen",
d. h. eine aus den Abgeordneten beider Reichstage gewählte Volks-
vertretung , die sich mit den gemeinsamen Angelegenheiten be-
schäftigt.
Angesichts des bunten Durcheinanders von Völkerschaften in
der Habsburgischen Monarchie darf man wohl die Frage aufwerfen:
Ist Österreich -Angarn noch eine deutsche Macht?
Von den 45,5 Millionen Bewohnern sind 20,8 Millionen Slawen
(6 Millionen Tschechen, 4,3 Millionen Polen, 3,8 Millionen Ruthenen
3,4 Millionen Serbokroaten, 2 Millionen Slowaken, 1,3 Millionen
Slowenen), die in jüngster Zeit durch die Einverleibung Bosniens
und der Herzegowina mit 1,75 Millionen Slawen auf 22,5
Millionen angewachsen sind. Ihnen stehen gegenüber 11,3 Millionen
Deutsche, 8,8 Millionen Madjaren, 3 Millionen Rumänen als Nicht-
slawen. So würde sich also eine wenn auch geringe
Überlegenheit des Slawentums ergeben.
Betrachtet man aber die beiden Reichshälften getrennt, so er-
scheinen die Slawen weniger im Vorteil, überwiegend slawisch
ist nur Österreich, denn es beherbergt neben 16 Millionen Slawen
nur 9,2 Millionen Deutsche; in Angarn dagegen hat die slawische
Bevölkerung (5,5 Millionen) nicht den geringsten Einfluß auf die
Regierung, allerdings auch nicht die deutsche. Es ist aber ausge-
schlossen, daß hier die Slawen zu Ungunsten der Deutschen hochkommen,
denn die Madjaren halten die Herrschaft in fester Äand. Doch auch
die Überlegenheit der Slawen in Österreich wird vorerst nicht dazu
führen, daß der österreichische Kaiser nach außen hin
als Slawenbeherrscher auftreten könnte. Die öfter-
reichischen Slawen sind unter sich sehr uneinig. Der Name
Slawen bedeutet für sie nicht mehr als der Name
Skandinavien sür die Dänen, Schweden und Nor-
weger. Die Tschechen wollen einen großen Bund mit den Slawen
Rußlands. In diesem könnte der Kaiser von Österreich
nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Die Deutschen in Österreich dagegen sind die besten
Stützen des österreichischen Gesamt st aates und der
Macht der Äabsburger.