1882 -
Hannover
: Carl Meyer (Gustav Prior)
- Autor: Meyer, Johannes
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Regionen (OPAC): Hannover
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte, Hannover
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Setzen wir dann unfern Marsch fort, fo kommen wir bald an
den durch seinen bedeutenden Kohlenreichtum bekannten Presberg, und
zwar an den sogen. „Lechtiuger Stollen". An dieser Stelle ist die
Ausbeute an Kohlen nicht mehr so reich, wie sie in früheren Jahren
war; die Hauptausbeute befindet sich jetzt an der anderen Seite des
Berges, am „Hasestollen". Hier am Piesberge verlassen wir die
Landstraße und wenden uns uach rechts, um dem etwa eine Stunde
entfernten Rulle und der Wittekindsburg eiueu Befuch abzustatten.
Rulle ist ein altes Kloster, von dem noch der Hauptflügel steht, der
jetzt Zur Wohnung für die beiden katholischen Geistlichen und den
Förster eingerichtet ist; der Seitenflügel, welcher mit der altertümlichen
Klosterkirche in Verbindung stand, ist abgebrochen. Das Dorf Rulle
besteht uur aus wenigen Häusern und ist ganz von einem herrlichen
Buchenwalde umgeben; es ist jedenfalls einer der schönsten Punkte
des Osuabrückscheu. Vor der Kirche befindet sich der sogen. Marien-
bruuueu, dessen Wasser in früheren Jahren, als Wunder noch nicht
zu den Seltenheiten gehörten, Wunder verrichtet haben soll. Ver-
mittelst einer steinernen Treppe steigt man in den Brunnen hinab;
an der Seite befindet sich in dem alten Gemäuer ein verwittertes
Marienbild. — Gehen wir nnn in die Kirche. Zuerst treten wir
in eine Vorhalle, in welcher wir uns ein wenig umsehen müssen.
An der östlichen Wand hangen über einem kleinen Altar ein Paar
Krücken, welche mit dem vorhin genannten Marienbrunnen in einer
Beziehung stehen. Ein Krüppel, welcher sich in dem Ruller „Bethesda"
badete, wurde gesund, und zum ewigeu Andenken an dieses Wunder
wurden die Krücken in der Kirche aufgehängt. Außerdem befinden
sich in dieser Vorhalle mehrere recht gute Ölbilder neuereu Datums,
welche, wie die Inschrift zeigt, von wohlhabenden Bauern der Ge-
meinde geschenkt sind, und welche das Leiden des Heilandes in fort-
laufender Eutwickelung darstellen. Die Kirche selbst bietet wenig
Merkwürdiges; doch lohnt es sich wohl der Mühe, in die Krypta
unter der Kirche hinabzusteigen, um dort einige aufbewahrte Alter-
tümer anzusehen. Rulle ist auch ein Wallfahrtsort; jährlich am 1.
Mai strömen die Gläubigen von Nah und Fern herbei, und eine
lange, lange Prozession zieht alsdann durch die Felder, betend und
singend. Diese Prozession wird zu Ehren der heiligen Jungfrau
unternommen, welche, wie schon bemerkt, mehrere Wunder verrichtet
habeu soll.
Von Rulle aus wenden wir uns westwärts und sind nach einem
kleinen Marsche durch Wald und Feld bei den Ruinen der Witte-
kindsbnrg. Dieselbe liegt oben aus einem mittelmäßig hohen Hügel;
von den Gruudmauern derselben sind noch einige Reste vorhanden;
außer diesen und einigen Erderhöhungen, die luau für Wälle halten
könnte, findet sich keine Spur mehr von einer Bnrg. Jedes Bauern-
kiud dieser Gegend kann dir aber erzählen, wie hier Wittekind, um
seinen Feind Karl zu täuschen, seinen Pferde» die Hufeifen verkehrt
Meyer, Die Provinz Hannover. 18