1914 -
Leipzig
: List & von Bressensdorf
- Autor: Ambrosius, Ernst, Hinkel, Philipp
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
170 Asien. I. Nordasien.
ziemlich so lang wie das Adriatische Meer ist, nicht so schnell getan. Die
Bahn mußte auf ihn treffen; sie wollte es aber auch, denn die Hauptstadt
Ostsibiriens, das wichtige Jrkutsk, wollte sie deuu doch uicht auch seitwärts
liegen lassen. Anfänglich hatte man die Absicht, den See nicht auf eiuer
Uferbahn zu umgehen, sondern die Züge sollten auf riesigen Trajektdampfern
quer über den See transportiert werden. Man begann mit zwei, zugleich
als Eisbrecher konstruierten derartigen Dampfern, aber dieser Ausweg be-
währte sich ganz und gar nicht. Einmal litten die Transporte sehr durch
den starken Wellenschlag, der die Mitte des Niesensees aufwühlt, und zum
andern waren die Dampfer int Winter bei einer oft über 2 in dicken Eis-
decke auf dem See nicht imstande, immer eine Fahrrinne offen zu halten.
Es mußten dann Güter und Personen auf Schlitten über den See gefahren
werden. So kam man doch dazu, eine Umgehungsbahn, eiue richtige Ge-
birgsbahn mit Tunneln und Hochbrücken um den See zu bauen. An wirk-
lichen Schwierigkeiten hat es beim Ban der Bahn keineswegs gefehlt.
Fortwährend herrschte bei der Menschenleere der meisten der berührten
Gegenden Arbeitermaugel, und Rußland war doch uicht imstaude, soviel
Arbeiter zu beschaffen, wie die Ingenieure verlaugten; schlechte Unterkunft,
Teuerung aller Lebensmittel und fortwährende Krankheiten waren die Ur-
sachen, daß sich die gewonnenen Arbeiter immer wieder schnell aus dem
Staube machten. Dazu sind nur wenige Monate frostfrei, die größte Hälfte
des Jahres mußten die Erdarbeiten ruhen. In Westsibirien, wo die Bahn
fast immer im Gebiete der Wald- und steinlosen Schwarzerde verläuft, mußte
uicht nur alles Eisenmaterial, das für die ganze Bahn nur von Nußland
oder von Amerika über Wladiwostok her bezogen werden konute, sondern
es mußten auch Holz, Sand und Steine erst herbeigeholt werden. Aus
diesen Schwierigkeiten erklärt sich eine Menge Unvollkommenheiten der be-
rühmten Bahn. Der empfindlichste Mangel ist die Eingleisigkeit, infolge
deren täglich nur wenige Züge nach jeder Richtung abgelassen werden können.
Das Ausweichen geschieht stets auf den Stationen, deren Zahl insgesamt
über ein halbes Tausend beträgt. Sie liegen in ganz bestimmten Zwischen-
räumen, westlich vom Baikalsee alle 12, östlich davon alle 20 Kilometer;
man trifft sie nicht immer bei einer Ortschaft, sondern oft ganz einsam in
der Steppe oder im Walde. Eine sieht aus, wie die andere; alle Baulich-
keiten. siud aus Holz: das eigentliche Stationsgebäude, die Schuppen, der
Wasserturm, der Bahnsteig. Ein weiterer Mangel ist der zu leichte Unter-
bau: Die Dämme sind zu locker gebaut, die Zahl der Schwellen ist zu gering,
die Schieueu siud zu leicht. „Der Bahndamm," sagt Tanera*) „macht selbst
ans Nichtkenner einen fragwürdigen Eindruck; man muß gute Nerven haben,
nm das unheimliche, hörbare Abrutschen der Steine während der Fahrt in
Ruhe zu ertragen." Und schon Zabel erzählt, infolge des Zusammensackens
der Dämme schwankten die Wagen unaufhörlich hin und her, und wegen der
zu weit auseinander liegenden Schwellen komme es dem Reifenden manch-
*) „Reise um die Erde", von Tcinera und Gisbert, S. 374.