1910 -
Paderborn
: Schöningh
- Autor: Bachmann, Heinrich
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Besteigung des Kilimandjaro 11
Die Wölbung der Eiskuppe, die vom Plateau aus als die
höchste erscheint, hatten wir nun unter uns; vom Tiefland
mit seinem Wolkenmeer war nichts mehr zu sehen. Ich spreche
immer nur von „Eis", weil der ftibo in diesen Tagen gar
keinen Schnee hatte. Was von unten als eine weißglänzende
Schneedecke erschienen war, ist die von Wind und Sonne
angefressene Oberfläche des Eismantels, der, durchschnittlich
60 bis 70 Meter dick, als eine kompakte Masse den Fels-
hängen des alten Vulkans aufliegt und überall echten Gletscher-
charafter annimmt, wo er in Bodensenkungen sich Zungen-
förmig talwärts erstreckt. Obwohl die Temperatur nur wenig
über 0° schwankte, wirkte doch der Sonnenreflez, der in dem
geringen Wasserdampf der dünnen Höhenluft nur wenig
abgeschwächt wird, vom Eis durch Schneebrille und Gletscher-
salbe so intensiv hindurch, daß sich uns später die Haut von
Hals und Gesicht ablöste und meine Augen tagelang der
dunkelblauen Schutzbrille bedursten.
Das Erscheinen einiger kleiner Nebelwölkchen in unserer
Höhe scheuchte uns aus einer längeren Rast auf. Beim Weiter-
steigen empfanden wir aber die Atemnot so stark, daß wir alle
20 Schritt ein paar Sekunden stehenbleiben mutzten, um weit
vornübergebeugt nach Luft zu röcheln. Der Sauerstoffgehall
der Luft beträgt ja hier in 5800 Meter Höhe nur 48 %,
der Feuchtigkeitsgehalt sogar nur 15% von jenem im Meeres-
Niveau. Kein Wunder, daß unsere Lungen so arbeiteten und
unsere Beine so schwer wurden, denn Sauerstoff- und Feuchtig--
keitsmangel, übergroße körperliche Anstrengung und die hoch-
gradige psychische Spannung vereinigten sich, um den Organis-
mus zu erschöpfen.
Die Eisoberfläche wird nun zusehends zerftessener. Mehr
und mehr nimmt sie jene Beschaffenheit an, wie sie aus den
südamerikanischen Anden als „nieve de los penitentes", als
„Büßerschnee", beschrieben wird. In Rillen und Furchen,
in Schneiden und Spitzen bis zu 2 Meter Tiese zerschmolzen,
bietet das Eisfeld dem steigenden Fuß Hindernisse dar wie ein
Karrenseld. Da wir oft bis an die Brust einbrachen, nahmen
unsere Kräfte in besorgniserregender Schnelligkeit ab. Und
immer nock wollte der oberste Eisgrat nicht näher kommen.