1907 -
Münster i.W.
: Aschendorff
- Autor: Lennarz, Gottfried
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Römisch-Katholisch
44
Eine Donaureise.
schwermütige Ernst der scheinbaren Unendlichkeit zu-
kommt. Hier liegt die farbige Welt des Orients offen
ausgebreitet. Eine Fülle des Lichtes ergießt sich ans
dem Osten über das unermeßliche Tiefland, das einst
Meeresboden war, und dessen Erscheinungen so vielfach
an die sturmbewegte Wasserfläche erinnern: zuvörderst
die Flnt des goldgelben Halmenmeeres, alsdann das
wellige Land, znletzt der im Sandsturm sich verfinsternde
Gesichtskreis. In der Glnt des Hochsommers färbt sich
der Horizont silbergrau; zwischen dem dürren Boden
und dem verschleierten Himmel spannt sich ein seidenes
Gewebe, ans welchem Seenspiegel und Haine, Dörfer
und Kirchtürme, Windmühlen und einsame Schenken in
flüchtiger Verschwommenheit hervorwachsen, — seltsam
und gespenstig, unstet in der bleiernen Luft schwankend
wie ein Zauberspuk der Feen. Die Fatamorgana des
Tieflandes gaukelt uns ihre Schemen vor.
Das ist der Orient: wir seheu ihn, wir suhlen ihn,
er flimmert uns vor den Augen. Die Donau von
Budapest ab ist der Faden, der in die wundersame Welt
des Ostens führt. Gleich einem der Ströme des fernen
tnranischen Tieslandes gleitet die Donau zwischen deu
vereinsamten Ufern dahin, ein Bild der Schwermut,
welche von den Dingen ausgeht, an denen das Große
und Mächtige die Stelle der zarten Idylle, der gestalten
reichen Romantik einnimmt. . . . Alles um uns hat
etwas Trauniverschlasenes: die kaum merkbar sich vor
wärts schiebende Flnt, der niedrige Ufersaum, an den
unvermittelt die Unendlichkeit anzuschließen scheint; die
Wildnis der Strominseln mit den schleichenden Seiten-
armen, um welche das Wasserwild flattert; das slitterige
Licht an dem breiten Strome, an dessen Ufern durch
Jahrhunderte die Reiterscharen sich tummelten, welche
das ferne Asien ausgespieen hatte. Die alten Hellenen
nannten Böotien „den Tanzplatz des Ares". Weit zu
treffender gilt dies von dem Tieflande zwischen den Kar-
pathen und dem Balkan, dem großen Schlachtselde der
Völkerstürme des Mittelalters.